Splitterwelten 01 - Zeichen
war, dass Kieron noch immer in seiner Kerkerzelle weilte und das alles nur geträumt hatte – so wie er nun träumte, durch diesen Stollen zu irren, dessen schroffe, in den Fels gehauene Wände von grünen und gelben Ablagerungen überzogen waren.
Wo, bei allen Welten, befand er sich?
Kieron blieb stehen, als der Stollen unvermittelt endete und in eine Treppe mündete, die in dunkle, ungeahnte Tiefen führte. Er überlegte noch, ob er die von jahrhundertealtem Staub überzogenen Stufen hinabsteigen sollte, als eine Folge grässlicher Schreie aus der Finsternis heraufdrang.
Kieron stand wie versteinert.
Was war das gewesen?
Noch nie zuvor hatte er eine Kreatur so entsetzlich kreischen hören. Eine menschliche Kehle war es ganz sicher nicht, die einen solchen Laut hervorbrachte.
Von Furcht ergriffen, machte Kieron kehrt. Er wollte nicht dort hinab, wollte nicht wissen, wer oder was dort in der Tiefe lauerte und der Urheber dieser schrecklichen Laute war, die sich in diesem Moment wiederholten.
Lauter diesmal … und näher.
Die Kreatur kam die Treppe herauf.
Kieron fuhr herum und begann zu laufen. Er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und die Handfläche um die Fackel zu schwitzen begann. Schnurgerade verlief der Stollen vor ihm, in unregelmäßigen Abständen von Streben aus rostigem Metall gestützt, in die rätselhafte Zeichen geprägt waren. Wohin der Gang führte, wusste Kieron nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Er wollte nur weg, fort von dem schaurigen Gebrüll, das in diesem Augenblick erneut zu hören war.
Noch näher …
Kieron beschleunigte seine Schritte. Die Flamme der Fackel fauchte, ihr Rauch brannte in seinen Augen, während er immer weiter rannte, verfolgt von den entsetzlichen Schreien. Gehetzt blickte er über die Schulter und glaubte, einen Schatten wahrzunehmen, der noch schwärzer und bedrohlicher war als die Dunkelheit selbst. Ein feuriges Augenpaar flammte auf, und der grässliche Ruf erklang erneut. So schnell er konnte, hastete Kieron durch den Stollen, aber seine müden Beine versagten ihm den Dienst. Nur langsam kam er voran, während die Bestie hinter ihm beständig aufholte. Die Fackel entwand sich seinem Griff und fiel zu Boden, aber es blieb keine Zeit, um sie aufzuheben. Hals über Kopf lief Kieron in die Finsternis. Er konnte den heißen Atem der Bestie in seinem Nacken spüren und wartete nur darauf, dass mörderische Klauen ihn packen und zerfetzen würden, ihm bei lebendigem Leibe die Haut vom Körper reißen.
Plötzlich endete der Gang – und Kieron sah die Skelette. Zu Hunderten übersäten sie den Boden, bleiche Knochen, die sich übereinanderhäuften, die Überreste zahlloser Kreaturen, die ein grässliches Ende gefunden hatten. Plötzlich fühlte Kieron, wie ihn etwas packte – und mit einem entsetzten Aufschrei schoss er in die Höhe.
»Nein!«
Kieron riss die Augen auf.
Das Untier war verschwunden, ebenso wie der unterirdische Stollen. Nur die Dunkelheit war geblieben, doch sie wich nach wenigen Augenblicken einem Firmament voll funkelnder Sterne. Sich selbst fand Kieron auf einer wollenen Decke kauernd. Und mit der kühlen Nachtluft, die er keuchend in seine Lungen sog, kehrte auch die Erinnerung zurück.
Er war aus seinem Gefängnis befreit worden – zumindest das war kein Traum gewesen. Auf einem Flugdrachen, der in der Lage war, mithilfe seiner Gleitflügel tiefer gelegene Welten zu erreichen, waren Croy, Jago und er von Madagor geflohen.
Der Splitter, auf dem sie gelandet waren, um ihr Nachtlager aufzuschlagen, hatte keinen Namen. Es war nicht mehr als ein großer Felsblock, der sich irgendwann von seiner Welt gelöst hatte und seitdem herrenlos durch die Weiten des Sanktuarions trieb, bewachsen von Moosen und Flechten und niedrigem Gebüsch, das über seine steinerne Oberfläche wucherte. Für jemanden, der sich auf der Flucht befand, war er das ideale Versteck – wenn auch nur für eine Nacht.
»Verdammt noch mal!«, maulte Jago, der in unmittelbarer Nähe auf einem Felsblock hockte und wohl darauf gewartet hatte, dass sich Nachtfliegen oder Sternschwärmer in Reichweite seiner Zunge verirrten. »Was soll das Geschrei, Mensch? Du verscheuchst mir mein Essen!«
»E-entschuldige«, stammelte Kieron, der noch immer ganz benommen war. »Ich hatte einen Aaa-Albtraum …«
»Dann träum gefälligst was anderes«, beschied ihm der Chamäleonide. »Oder nimm dir ein Beispiel an mir – ich träume nämlich nie. Scheint überhaupt
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