Splitterwelten 01 - Zeichen
von Ängsten und Selbstzweifeln geplagt gewesen, ohne dass sie gewusst hatte, was die wahre Natur ihrer Mission war. Cedara hatte ihr also einen Gefallen getan.
Schuldbewusst senkte Kalliope den Blick und hob ihn erst wieder, als sie das Ende der Vorhalle erreicht hatten. Im Durchgang erblickte sie einen jungen Mann, dessen Gesicht bartlos war und dessen blondes Haar zwar bis zur Schulter reichte, jedoch zu einem Zopf geflochten war. Seine Gesichtszüge waren milder als die der anderen Männer, denen Kalliope begegnet war, der Blick seiner blaugrauen Augen hatte etwas Beruhigendes, fast Vertrautes. Er trug einfache wollene Kleidung, sein rechter Arm steckte in einem ledernen Handschuh, der bis über den Ellbogen reichte und auf dem ein Schneefalke saß – vermutlich war er einer der Knechte, die die Tiere des Fürsten versorgten.
Warum er Kalliopes Aufmerksamkeit geweckt hatte, wusste sie schon einen Augenblick später nicht mehr zu sagen. In Hakkits Gefolge verließen ihre Meisterin und sie den Vorraum und begaben sich zu ihrer Unterkunft.
22. Kapitel
Croys wagemutiger Plan schien aufzugehen.
Auf dem Rücken des Wals gelangten die Gefährten in die Reichweite der Minenwelt, die sich zunächst nur als dunkler Schemen, später dann immer deutlicher vor ihnen abzeichnete. Und endlich riss der Nebel von Rapa-Nor endgültig auf, und zum ersten Mal erblickten Kieron und Jago das Ziel ihrer Reise …
Nergal!
Der Weltensplitter hatte die Form eines geborstenen Kessels. Ein schmaler, von spitzen Gipfeln gekrönter Gebirgsgürtel umgab ihn wie eine schützende Mauer, die jedoch an einer Stelle durchbrochen war; ein gewaltiger Spalt, der viele Hundert Klafter hoch und breit genug war, um den Sturmwal samt seiner Last passieren zu lassen, klaffte in der Wand und gewährte einen Blick in das Innere – einen weiten Talkessel, in dem es kaum Vegetation gab. Schroffer Fels übersäte den Grund, ebenso schwarz wie die Klumpen erstarrter Schlacke, die Nergal im weiten Umkreis umgaben, und auch von ähnlich bizarrer Form. Fast, dachte Kieron beklommen, hatte es den Anschein, als hätte sich vor undenklich langer Zeit eine schreckliche Katastrophe ereignet, die den Weltensplitter zerfetzt und seine Innereien hinaus ins Sanktuarion geschleudert hätte. Schaudernd musste der Junge an das denken, was Croy über die Legende von Rapa erzählt hatte.
Seine Gefährten schienen andere Dinge im Kopf zu haben. Während Jago unentwegt nach dem Wal schielte, auf dessen Rücken sie als blinde Passagiere reisten, und sich keine Mühe gab, sein Misstrauen gegenüber der riesigen Kreatur zu verhehlen, schien Croy nur auf den geeigneten Augenblick zu warten.
Halb aufgerichtet stand er in den Steigbügeln. Von den Lenkgurten der Navigatoren dirigiert, hatte der Sturmwal seinen Kurs geändert und hielt nun unmittelbar auf den großen Spalt zu. Schon kamen die schroffen Felswände bedrohlich näher, aber Croy schien nicht vorzuhaben, so lange zu warten. Aufmerksam beobachtete er die Verwirbelungen, die die Masse des Wals in den letzten verbliebenen Nebelschwaden verursachte – dann plötzlich trieb er den Flugdrachen an!
Mithilfe seiner kurzen, aber kräftigen Beine katapultierte sich das Tier vom Rücken des Wals und breitete seine Flügel aus. Kieron war klar, dass dies ein gefährlicher Augenblick war. Sanken sie im Gleitflug zu tief, würden sie von der Galeere aus gesehen und unter Beschuss genommen. Kamen sie der Wand zu nahe, prallten sie womöglich gegen den Fels. Nur wenn es Croy gelang, die Aufwinde am Weltenrand zu nutzen, hatten sie eine Chance.
Auch Jago schien das zu wissen, denn obwohl unter ihnen gähnende Leere klaffte und der freie Fall ihnen die Mägen hob, gab er keinen Laut von sich. Einen quälenden Herzschlag lang befanden sich die Gefährten in schrecklicher Ungewissheit, schwebten buchstäblich zwischen Leben und Tod – als sich die ledrigen Flügel des Drachen plötzlich blähten und ihn samt seiner Reiter steil in die Höhe beförderten, fort von dem Sturmwal und aus dem Blickfeld seiner Herren.
Senkrecht ging es empor, vorbei an schroffen Vorsprüngen, die an ihnen vorüberwischten, über den schmalen Grat hinweg und von dort in eine enge Kluft.
Nun, da sie außer Sicht- und Rufweite der kaiserlichen Galeere waren, erlegte sich Jago keine Zurückhaltung mehr auf. »Bist du von Sinnen? Hör sofort auf damit, elender Katzmann!«, schrie er, während Croy den Flugdrachen durch einen wahren Irrgarten schwarzer,
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