Splitterwelten 01 - Zeichen
wähnten.
»Ja, Elevin?«
»Warum habt Ihr das getan? Ich meine, wie konntet Ihr …?«
»Nicht alles verhält sich so, wie es auf den ersten Blick scheint, Kind«, entgegnete Harona kühl. »Eine Krone auf dem Haupt zu tragen, ist eine Sache – zu herrschen etwas anderes. Die Macht der Gilde kennt vielerlei Gestalt, dies war eine davon.«
»Ihr … Ihr habt den König erpresst.«
Harona blieb stehen und schaute ihrer Schülerin tief in die Augen. »Auch du wirst noch erkennen, Kind, dass dunkle Zeiten dunkler Maßnahmen bedürfen. Was ich tat, tat ich zum Wohle unserer Schwesternschaft und des gesamten Reiches.«
»Ich … verstehe, Meisterin.«
»Inquisitorin«, verbesserte Harona und deutete auf das königliche Dekret, das sie zusammengerollt in ihrer Rechten hielt. »Gewöhne dich besser gleich an diesen Titel: Inquisitorin …«
Zweites Buch
TEMPORA MUTANT
»Zu ermitteln, wann die neue Zeitrechnung begann, ist schwierig angesichts der vielen Ereignisse, die gleichzeitig und auf verschiedenen Welten stattfanden. Doch wisset, Erben, dass die Tage, da unter den Schwestern Etheras der Tod um sich griff, allgemein als der Beginn jener Epoche gelten, die wir als die Große Veränderung kennen.«
Chronik von Stymphalos · Kapitel 1, »De Magna Mutatione«
1. Kapitel
Es waren entlaufene Sklaven.
Zumindest davon war Kieron überzeugt.
Alles an den drei Fremden – ihre abgetragene Kleidung, die Eisenspangen an den Fußgelenken, die ausgemergelten Züge, aber auch die bittere Entschlossenheit in ihren Gesichtern – deutete darauf hin. Es war die Entschlossenheit von Kreaturen, die nichts zu verlieren hatten.
Der Hüne und der Animale hatten Croy seine Klingen abgenommen. Auch Kieron und Jago wurden durchsucht, doch weder der Junge noch sein ehemaliger Besitzer trugen Waffen. Kieron nicht, weil er nicht damit umzugehen verstand; Jago nicht, weil er der tiefsten Überzeugung war, dass ein rascher Rückzug einer gewaltsamen Auseinandersetzung jederzeit vorzuziehen war.
»Ruhig«, mahnte Croy, während die Anführerin der Gruppe weiter mit dem Bogen auf ihn zielte, »ganz ruhig. Ich denke nicht, dass wir Feinde sind.«
»Auf dieser verdammten Welt, Tiermensch, ist jeder ein Feind«, erwiderte die Frau kalt.
»Wir nicht«, versicherte der Pantheride.
»Wer seid ihr?«, fragte sie. »Spitzel? Kopfgeldjäger?«
Kieron konnte hören, wie ihre Stimme bebte. Die Frau hatte Angst, ebenso wie ihre Begleiter, was Kierons anfängliche Vermutung nur bestätigte. Die drei waren auf der Flucht …
»Nichts dergleichen«, versicherte Croy. Jago hingegen schien es die Sprache verschlagen zu haben. Der Chamäleonide stand einfach nur da und verzog grimmig das Maul.
»Wie lange seid ihr schon hinter uns her?«
»Wir sind nicht hinter euch her.«
»Was du nicht sagst, Katzenmensch. Entlaufene Sklaven seid ihr aber wohl auch nicht.«
»Wir befinden uns auf der Suche.«
»Wonach?«
»Nach etwas, das wir auf Nergal zu finden hoffen«, gab Croy ungewohnt bereitwillig Auskunft.
Die Bogenschützin lachte auf. »Hast du das gehört, Opossum? Für wie einfältig hält uns dieser Kerl?«
Ihr bepelzter Begleiter kicherte, auch der Glatzkopf gab ein dumpfes Grunzen von sich. Offenbar glaubten sie Croy kein Wort, und Kieron konnte es ihnen noch nicht einmal verdenken.
»Was fangen wir mit ihnen an, Shen?«, fragte der große Kerl und hob den Knüppel. »Das Beste wäre, sie auf der Stelle zu erschlagen.«
Croys Mundwinkel fielen missbilligend nach unten, die krallenbewehrten Hände des Pantheriden ballten sich zu Fäusten.
»Ganz ruhig, Kätzchen«, beschied ihm die Frau, die auf den Namen Shen zu hören schien. »Diese Pfeile sind mit Gift getränkt. Du solltest dir also gut überlegen, was du tust.«
»Was sollen wir noch länger warten?«, drängte der Hüne. »Sterben müssen die drei ohnehin, sonst werden sie uns bei nächster Gelegenheit verraten.«
»Wohl kaum, Darg«, wandte Shen ein, »denn wenn es stimmt, was sie sagen, dürfen sie sich ebenso wenig hier aufhalten wie wir.«
Statt zu antworten, ließ der Riese nur ein dumpfes Grollen vernehmen, das deutlich machte, dass er sich auf derlei Gedankenspiele nicht einlassen und lieber sichergehen wollte.
»Was sagst du, Opossum?«, wandte sich Shen an den Animalen mit der rosafarbenen Schnauze.
»Ich bin mir nicht sicher«, gab dieser zurück. »Vielleicht sagen sie die Wahrheit, vielleicht auch nicht. Wir sollten ihnen sicherheitshalber die
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