Splitterwelten 01 - Zeichen
Gestein zu prallen, fiel Kieron ins Leere.
Eine Öffnung im Fels!
Kieron strauchelte und fiel hin, doch Croy zog ihn sofort wieder auf die Beine. Die beiden rannten, so schnell sie konnten, den schmalen Nebenarm der Schlucht hinab, den eine Laune der Natur vor Äonen geformt hatte. Das Tosen des Steinschlags fiel zurück, ebenso wie der Staub, aber Croy dachte nicht daran, stehen zu bleiben. Auf seinen kräftigen Beinen rannte er weiter, Kieron hinter sich herziehend, während hinter ihnen die Steinlawine niederging und den Eingang der Felsspalte verschloss.
»Ich ka-kann nicht mehr«, stieß Kieron hervor, der kaum noch Luft in den Lungen hatte. Unbarmherzig zerrte Croy ihn noch ein Stück weiter. Dann, hinter einer scharfen Biegung, gönnte er dem Jungen eine Pause. Er ließ ihn los, worauf Kieron erschöpft niedersank. Hustend und nach Atem ringend, griff er sich an die Brust und sog die vergleichsweise reine Luft in seine Lungen, froh darüber, mit dem Leben davongekommen zu sein.
»Danke«, presste er keuchend hervor.
»Nicht der Rede wert.« Der Pantheride, der sich einmal mehr auf seine angewinkelten Beine niedergelassen hatte, um sich auszuruhen, verzog keine Miene.
»Waaa-was ist mit den anderen?«
Croy zuckte mit den Schultern. »Mit etwas Glück haben sie es geschafft. Unser Flugdrache jedoch ist verloren – wir werden uns etwas einfallen lassen müssen, wenn wir wieder von hier fort wollen.«
Kieron wandte sich suchend um. »Und Jago?«
»Genau, was ist mit Jago?«, plärrte ihm eine nur zu bekannte Stimme ins Ohr, und unmittelbar neben ihm schien ein Felsbrocken zum Leben zu erwachen. Ein halbkugelförmiges Augenpaar öffnete sich und starrte den Jungen und den Pantheriden vorwurfsvoll an. Kieron musste lächeln. Dass es ihn beinahe freute, seinen ehemaligen Herrn lebendig und wohlauf zu sehen, überraschte ihn selbst.
Jagos Haut hatte die dunkle Farbe des Felsgesteins angenommen, und er war über und über staubbedeckt, sodass er kaum zu erkennen war. »Da staunt ihr! Hättet nicht gedacht, den alten Jago wiederzusehen. Wenn ihr mich loswerden wollt, müsst ihr es schon ein wenig geschickter anstellen, denn natürlich bin ich euch gefolgt und habe …«
Der Satz endete in einem gurgelnden Geräusch, denn Croys klauenbewehrte Hand war vorgeschossen, hatte sich um den kurzen Hals des Chamäleoniden gelegt und schnitt ihm die Luft ab.
»Elende Kreatur!«, fuhr er ihn an. »Du hättest uns verraten und verkauft.«
»Was erwartest du?«, ächzte Jago, der in seinem Griff zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Ich bin ein Chamäleon …«
»Nenne mir einen guten Grund, warum ich dir nicht hier und jetzt deinen hässlichen Schädel von den Schultern reißen sollte!«
»Nein«, rief Kieron, »tu das ni-nicht!«
»Und warum nicht?«
»Weil wir ihn vielleicht noch b-brauchen«, wandte der Junge ein. »Und weil wir schon genug Probleme haben, auch ohne dass wir uns gegenseitig umbringen!«
Der Panthermann ließ ein leises Knurren vernehmen, und einen Augenblick lang schien das Leben des Chamäleoniden, der flehend aus seinen halbkugelförmigen Augen blickte, am seidenen Faden zu hängen. Schließlich jedoch lockerte Croy seinen Griff und ließ ihn los. Wie leblos sackte Jago nieder und blieb pfeifend am Boden liegen.
»Der Junge hat dir gerade das Leben gerettet«, beschied Croy ihm leise. »Das solltest du ihm nie vergessen.«
»Schon gut, schon gut«, ächzte der Gescholtene und raffte sich mühsam wieder auf die Beine. Daran, sich bei Kieron zu bedanken, schien er jedoch nicht im Traum zu denken. »Und was jetzt?«
»Wenn unsere Verfolger noch am Leben sind, werden sie uns wohl kaum folgen«, vermutete Croy. »Der Zugang zu dieser Kluft ist verschüttet, und das Geröll zu überwinden würde zu viel Zeit kosten. Sie werden es vorziehen, nach einer raschen Fluchtmöglichkeit zu suchen.«
»Dann sind wir außer Gefahr«, folgerte Kieron.
»Nein«, widersprach Croy düster. »Glaub mir, Junge – wir sind den wahren Gefahren noch nicht einmal begegnet.«
Damit wandte er sich um und ging ihnen voraus die schmale Schlucht hinab, die sich wie ein gezackter Riss durch den schwärzlichen Fels zog.
Erst jetzt ging Kieron auf, dass sie kein Wasser hatten und keinen Proviant, ihre gesamte Verpflegung war zusammen mit ihrem Reittier verschüttet worden. Und Croy besaß keine Dolche mehr, mit denen er sich hätte verteidigen können.
Jago folgte Croy, Kieron übernahm die Nachhut. Schritt
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