Splitterwelten 01 - Zeichen
für Schritt drangen sie weiter in die karge, steinige Minenwelt vor – und sie ahnten nicht, dass sie dabei beobachtet wurden.
2. Kapitel
Das Quartier, das man Gildemeisterin Cedara zugeteilt hatte, befand sich in einem der mächtigen Türme, die wie steinerne Bäume aus dem Felsplateau zu wachsen schienen.
Es war ein nahezu kreisrunder Raum, den die Meisterin und ihre Elevin sich teilten und der nur karg möbliert war; eine breite, grob gezimmerte Schlafstatt sowie eine Truhe bildeten die einzigen Einrichtungsgegenstände, dazu eine offene Feuerstelle. Es gab nur ein Fenster, das nach Osten wies, geradewegs in den bodenlosen Abgrund des Weltenrandes. Die Tatsache, dass es vergittert war, sollte einerseits dafür sorgen, dass niemand versehentlich in die Tiefe stürzte. Andererseits bewies auch der vor der Tür postierte Wächter, dass der Fürst von Jordråk seinen Gästen nur höchst unzureichend vertraute. Offiziell hatte es natürlich geheißen, der Posten solle für die Sicherheit der beiden Frauen garantieren. Aber nach dem Gespräch mit Fürst Magnusson war Kalliope klar, dass dies nicht der einzige Grund war …
»Meisterin?«, fragte Kalliope. Sie stand inmitten des knappen Dutzends bis zum Rand gefüllter Kisten, die ein ganzes Rudel Phociden von der Anlegestelle heraufgeschleppt hatte, und sah sich vor der beträchtlichen Herausforderung, all diese Dinge in einer Kammer unterzubringen, in der es weder einen Tisch noch Regale gab.
»Ja, mein Kind?« Cedara stand am Fenster und ließ ihren Blick über die endlos scheinende Weite des Sanktuarions schweifen. Der Schneefall hatte ausgesetzt, die Sonne des späten Nachmittags mischte lilafarbene Töne in das weißliche Grau, das sich wie eine Glocke über der Eiswelt spannte.
»Zuvor in der Halle …«, begann Kalliope. »Was genau hat Fürst Magnusson gemeint, als er von geheimen Absichten der Gilde sprach?«
Ihre Meisterin wandte sich zu ihr um. »Nichts«, versicherte sie. »Jedenfalls nichts, was dich beunruhigen müsste.«
»Meisterin Glennara ist tot, ermordet von einem Unbekannten«, brachte Kalliope in Erinnerung. »Ich bin bereits beunruhigt, Meisterin.«
»Dessen bin ich mir bewusst, und ich habe dir bereits gesagt, dass es mir leidtut, dich über die wahre Natur unseres Auftrags im Unklaren gelassen zu haben. Aber die Anweisungen der Erhabenen Schwester waren in dieser Hinsicht eindeutig. Mir blieb keine Wahl.«
»Das verstehe ich«, versicherte Kalliope. Ein schwaches Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Eigentlich bin ich Euch sogar dankbar dafür. Meine Furcht war auch so schon groß genug. Und doch ist es beruhigend zu sehen, dass ich nicht die Einzige bin, die sich fürchtet.«
»Wovon sprichst du?«
»Fürst Magnusson«, erklärte Kalliope. »Hattet Ihr nicht auch den Eindruck, dass er sehr besorgt wirkte?«
»In der Tat«, stimmte Cedara zu, »und das wäre ich auch an seiner Stelle – schließlich hat sich der scheußliche Mord an Schwester Glennara in seinem Herrschaftsbereich ereignet, sodass ihn zumindest ein Teil der Schuld trifft. Magnusson weiß das, deshalb unterstützt er unsere Ermittlungen – während er zugleich furchtsam auf das blickt, was wir vielleicht herausfinden werden.«
»Und das ist?«, fragte Kalliope.
»Im besten Fall, dass der Mord an unserer Mitschwester die Tat eines Einzelnen gewesen ist, der den Verstand verloren hatte und nicht wusste, was er tat.«
»Und wenn dem nicht so ist?«
»In diesem Fall«, entgegnete die Meisterin leise, »sieht sich unsere Schwesternschaft womöglich einer Bedrohung ausgesetzt, die größer und dunkler ist als alle, denen wir je begegneten. Die Gildefrauen sind es gewohnt, Anfeindungen ausgesetzt zu sein, dem Misstrauen und dem Neid der Menschen, und womöglich tragen sie selbst ihren Anteil daran. Doch diese neue Bedrohung, von der ich spreche, übertrifft alle vorangegangenen.«
»Inwiefern?«
Ein wehmütiges Lächeln glitt über Cedaras Gesichtszüge. »Ich wünschte, ich könnte dieses Wissen mit dir teilen, mein Kind, aber das darf ich nicht. Der Treueschwur, den ich als numerata geleistet habe, bindet mich. So viel jedoch will ich dir verraten: Die Erhabene Schwester hat in die Zukunft geblickt. Sie hat Unheil kommen sehen, und sie befürchtet, dass es hier seinen Anfang nimmt, auf Jordråk. Das ist der Grund, weshalb ich hierher entsandt wurde.«
Kalliope nickte. Auch wenn ihr diese Enthüllungen nicht behagten – manches ergab dadurch erst Sinn. Noch
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