Sportreporter
Cade), während Vicki die von Wade und Lynette zu fassen bekommt. Und mir drängt sich dabei der Gedanke auf – während ich mit festgeschlossenen Augen unergründlich tief in den vertrauten Todesball aus flüssigen blutroten Flammen hinunterspähe, hinter dem ein unendlich tiefer Abgrund schwarzer Seelen darauf wartet, daß ich hinunterstürze, und nur Wades und Cades klobige Hände können mich zurückhalten –, was für ein merkwürdiges Glück es doch ist, von diesen Menschen wie ein willkommener Verwandter aus Peoria angesehen zu werden. Aber ich komme nicht an der Frage vorbei, wo meine eigenen Kinder in diesem Augenblick wohl sind und wo X ist – und ich hoffe nur, daß sie nicht bei einem vaterlosen Oster-Brunch zum Pauschalpreis in irgendeinem küstennahen Ramada in Asbury Park sitzen und daß nicht Barksdale klammheimlich aus Memphis zurückgekommen ist, um meinen Platz einzunehmen. Ohne diese Neuigkeit wäre es leichter gewesen, einen glücklichen Tag zu erleben, aber wir können Dinge nicht aufhalten, die zu Recht auf uns zukommen. Ohnehin habe ich längst mal einen Dämpfer verdient und kann von Glück sagen, daß ich diesen Tag nicht damit zubringe, auf der Suche nach einem Osteressen zum Mitnehmen durch irgendein Einkaufszentrum zu streifen – wie das zweifellos der arme Walter Luckett macht, auf Irrwegen im wilden Dschungel des zivilisierten Lebens.
Lynettes Tischgebet ist angenehm kurz und im Detail optimistisch-ökumenisch – mir zuliebe, nehme ich an –, denn sie berücksichtigt zwar den Tag und die geplagte Welt, in der wir leben, verzichtet aber auf das Zweite Vatikanische Konzil und alle frommen Sprüche, die sie fraglos im Kopf hat – wo sie auch hingehören –, und erwähnt zum Schluß ihren Sohn Beany, der zwar in einem Soldatengrab in Fort Dix liegt, den aber alle vor ihrem inneren Auge haben, auch ich. (Tatsächlich verflüchtigen sich die flüssigen Flammen und machen Platz für Beanys hinterhältige Visage, die mich aus den verborgenen Tiefen der Vergessenheit höhnisch angrinst.)
Wade und Cade haben beide schreiend buntgeblümte Krawatten und Sportsakkos angezogen und sehen aus, als gehörten sie in ein Varieté. Vicki schielt heftig mit beiden Augen zur Nasenspitze hin, sobald ich ihr lächelnd zu verstehen geben will, daß ich mich im Kreis der Familie wohl fühle. Das Wetter ist das Gesprächsthema, als wir uns über das Lamm hermachen; es folgt ein kurzer Abstecher in die Landespolitik. Danach Cades Chancen, schon früher mit der Polizeischule beginnen zu können, und Mutmaßungen darüber, ob Uniformen wohl schon am ersten Morgen zugeteilt werden oder ob da erst noch weitere Prüfungen zu bestehen sind, was Cade als eine grausame Möglichkeit zu betrachten scheint. Er führt eine Diskussion über die Geschwindigkeitsbeschränkung auf neunzig Stundenkilometer und ihre Auswirkungen und bemerkt, eine solche Beschränkung sei für alle anderen angebracht, aber nicht für ihn. Dann ist Lynettes Arbeit bei der katholischen Krisenleitung dran, gefolgt von Vickis Arbeit in der Klinik, die von allen als ein denkbar schwerer und lohnender Dienst am Menschen eingeschätzt wird – mehr wert, so wird stillschweigend impliziert, als Lynettes Arbeit. Niemand erwähnt unser Wochenende in der fernen Motor City, aber ich habe das Gefühl, daß Lynette praktisch in jedem ihrer Sätze nach einer Möglichkeit sucht, das Wort »Detroit« unterzubringen, um uns alle wissen zu lassen, daß sie nicht von gestern ist und keinen Stunk macht, da ihrer Meinung nach Vicki, wie alle anderen geschiedenen Frauen, selber wissen muß, was sie tut.
Cade ködert mich mit einem Grinsen und fragt mich, welches Baseballteam mir im Osten am liebsten ist, worauf ich Boston nenne (das Team, das ich am wenigsten mag). Ich stehe natürlich voll und ganz hinter Detroit und weiß auch, daß sie mit folgenschweren Spielerwechseln und einem neuen Coach für die Werfer ab September nicht mehr zu halten sein werden.
»Boston, eh?« Cade grinst in seinen Teller. »Die sehen kein Land.«
»Abwarten«, sage ich mit absoluter Gewißheit. »Wir haben schließlich hundertzweiundsechzig Spiele. Die brauchen nur kurz vor dem Stichtag einen cleveren Spielertausch über die Bühne zu bringen, und schon geben sie den Ton an.«
»Dann müßten sie einen wie Ty Cobb holen.« Cade bricht in schallendes Gelächter aus und wirft, im Mund ein halbes Brötchen, einen unterwürfigen Blick auf seinen Vater.
Ich lache am lautesten,
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