Sportreporter
kannte und wo ich meine wichtige Anonymität als Schriftsteller vervollkommnen konnte.
Damit konfrontiert, sprach X sich für Lime Rock in Connecticut aus, am Oberlauf des Housatonic, wo uns mancher Ausflug hingeführt hatte. Aber meine Angst vor dieser wankelmütigen Judas-Gegend hätte nicht größer sein können. Ihre unbedeutenden Berge und traurigen, von Shetlandpullis und Volvo-Kombis geprägten Enklaven zeugten für mich nur von Verzweiflung und Falschheit, Sarkasmus und arroganter Ungezwungenheit – nicht der richtige Ort für einen richtigen Schriftsteller; nur für zweitrangige Lektoren und Agenten von Lehrbüchern, so wie ich das sah.
Mangels einer besseren Idee stimmte ich für New Jersey: eine schlichte, wenig anziehende und nichts von dir erwartende Landschaft, dachte ich, und das war richtig. Und für Haddam mit seiner hügeligen und schattigen Seminar-Gefälligkeit (ich hatte eine Anzeige in der Times gesehen, wo es wie ein unentdecktes Woodstock in Vermont dargestellt war), wo ich mein Filmgeld in ein anständiges Haus investieren konnte (ich täuschte mich nicht), wo es eine buntgemischte Bevölkerung gab (es gab sie) und wo man sich voller Hoffnung an einen Schreibtisch setzen und ernsthaft arbeiten konnte (in dem Punkt irrte ich mich, das konnte ich aber vorher nicht wissen).
X fand es nicht der Mühe wert, sich wegen Connecticut stark zu machen, und so kauften wir im Herbst 1970 das Haus, in dem ich heute allein lebe. X hatte ihre Stelle aufgegeben, um sich auf Ralph vorzubereiten. Ich zog mit neuer Begeisterung in ein »Büro« im zweiten Obergeschoß – in den Teil, den ich jetzt an Mr. Bosobolo vermietet habe – und versuchte, ein paar seriösere Schreibgewohnheiten und eine gute Einstellung zu meinem Roman zu finden, den ich den Sommer über sich selbst überlassen hatte. Innerhalb von Monaten lernten wir eine Gruppe jüngerer Leute kennen (darunter Schriftsteller und Lektoren), besuchten Cocktailpartys reihum, gingen am nahe gelegenen Delaware River spazieren, nahmen an literarischen Ereignissen in Gotham teil, sahen Theateraufführungen in Bucks County, machten Ausfahrten aufs Land, blieben abends zu Hause, um zu lesen, galten als ein etwas außergewöhnliches Paar (ich war gerade fünfundzwanzig) und waren im allgemeinen mit unserem Leben und den Entscheidungen, die wir getroffen hatten, recht zufrieden. Ich hielt in der Bibliothek und vor den Rotariern in einem Nachbarort einen Vortrag mit dem Titel Der Werdegang eines Schriftstellers ; für ein örtliches Magazin schrieb ich einen Artikel, überschrieben Warum ich lebe, wo ich lebe , und schilderte darin die Notwendigkeit, zum Arbeiten einen Ort zu finden, der in fast jeder Hinsicht »neutral« ist. Für den Produzenten, der mein Buch gekauft hatte, arbeitete ich an einem Originaldrehbuch und schrieb mehrere große Zeitschriftenartikel – einen über einen berühmten Mittelfeldler aus den alten Baseballzeiten, der später zum Ölbaron wurde und wegen betrügerischer Geldgeschäfte einige Zeit im Gefängnis saß, mehrere Ehefrauen hatte, als bedingt Haftentlassener jedoch in sein trockenes Westtexas zurückkehrte und in seinem Heimatort Pumpville ein therapeutisches Schwimmbad für hirngeschädigte Kinder baute und sogar Patienten aus Mexiko zur Behandlung heranholte. Ein Jahr ging irgendwie vorbei. Dann hörte ich einfach auf zu schreiben.
Es war mir zunächst gar nicht bewußt, daß ich aufgehört hatte. Eine ganze Zeitlang war ich jeden Morgen um acht in mein Büro gegangen, war zum Mittagessen heruntergekommen und hatte mich dann im Haus herumgedrückt, um in Büchern über Marokko Recherchen anzustellen, »ein paar Strukturprobleme herauszuarbeiten«, Diagramme und Handlungsabläufe und Charakterentwicklungen zu skizzieren. Tatsächlich war ich jedoch ausgelaugt. Manchmal ging ich nach oben, setzte mich an meinen Schreibtisch und hatte keine Ahnung, was ich da sollte oder worüber ich eigentlich hatte schreiben wollen – ich hatte einfach alles vergessen. In Gedanken war ich beim Segeln auf dem Lake Superior (in Wirklichkeit hatte ich das noch nie getan), und danach ging ich wieder hinunter, um ein Nickerchen zu machen. Und als ob es noch eines Beweises für mein Ausgelaugtsein bedurft hätte, war ich sofort dabei, als im Namen der Zeitschrift, für die ich heute arbeite, der Chef vom Dienst anrief und mich fragte, ob es mich interessieren könnte, hauptberuflich als Sportreporter zu arbeiten. Seine Zeitschrift, sagte er,
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