Sportreporter
radikal und hitzköpfig. Und die meisten aus meiner Clique würden von sich sagen, daß sie froh sind, gut dreißig Jahre vor sich zu haben und abwarten zu können, welche Überraschungen das Leben noch birgt. Die Möglichkeit eines Happy-Ends. Das geht nicht allein mir so.
Auf der Suche nach Herbs Haus müssen wir bei zwei Tankstellen nachfragen. Beide Eigentümer behaupten, ihn zu kennen und alle Reparaturen für ihn zu machen. Und beide mustern mich mit einem mißtrauischen Blick eines Schuldeneintreibers, als sei ich hinter Herb her, um ihn zu schädigen oder ihm seinen Ruhm zu stehlen. Und in beiden Fällen haben Mr. Smallwood und ich beim Wegfahren das Gefühl, daß bereits telefoniert wird, daß sich eine schützende Gemeinschaft einer vermeintlichen Gefahr wegen vor einen gestürzten Helden stellt. Das alles bringt mir wieder einmal zu Bewußtsein, wie oft ich unter Menschen bin, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen und die in mir – Frank Bascombe – immer nur den Sportreporter sehen. Mag sein, daß es nicht die beste Art ist, in die Welt hinauszugehen, wie ich vorgestern abend ja auch Walter erklärt habe: ohne Mitwisser, ohne echte Verbündete, allenfalls mit ein paar Ex-Verbündeten; ohne einen geliebten Menschen, allenfalls mit einer Vicki Arcenault oder ihresgleichen. Aber vielleicht ist es für mich das beste, in Anbetracht meines Charakters und meiner Vergangenheit, die bestenfalls »nicht überzeugend« sind. Für mich könnte es viel schlimmer laufen. Als Fremder für fast jedermann und obendrein als Sportreporter habe ich zumindest an fast jedem Tag meines Lebens eine weiße Weste; ich habe die Chance, nicht negativ zu sein, einen Unbekannten mit einem Schulterklopfen zu ermuntern, Courage und persönliche Fortschritte anzuerkennen, den Kampf mit dem Zynismus auf breiter Front aufzunehmen und Sieger zu bleiben.
Auf der Straße vor Herbs Haus werde ich mit einem lauten »Hal- lo !« begrüßt, kann aber niemanden sehen. Mr. Smallwood späht aus dem geschlossenen Fenster seines Taxis. Er hat von Herb gehört, wie er mir sagte, verbindet den Namen aber mit der falschen Biographie und glaubt, Herb sei ein Neger. Auf jeden Fall will er ihn sehen, bevor er seinen Abstecher nach Wixom macht.
Herbs Haus liegt an dem kurvenreichen, schmalen Glacier Way, hundert Meter vom eigentlichen Walled Lake entfernt und nicht weit von dem Vergnügungspark, der nur im Sommer in Betrieb ist. Ich bin da vor vielen Jahren als Student öfter hergekommen, denn die hatten einen engen, gärenden, wie ein altes Faß geformten Tanzsaal, der sich Walled Lake Casino nannte. Es war in der Zeit, als »Abklatschen« in Michigan beliebt war, und meine beiden Freunde und ich kamen von Ann Arbor in der Absicht herüber, ein paar Frauen aufzulesen, obwohl wir natürlich in einem Umkreis von fünfzig Meilen keine Menschenseele kannten und letztlich dann immer an den grobgezimmerten, zerschrammten alten Wänden lehnten, über jedermann unsere ätzenden und sarkastischen Bemerkungen machten und Cola mit Whisky tranken. Inzwischen ist, wie mir Mr. Smallwood erzählt hat, das Casino abgebrannt.
Herbs Haus ist – wie all die anderen in der Nachbarschaft – ein kleines weißes Cape Cod Cottage mit einer großen, von Gauben unterbrochenen Dachfläche und einem kleinen Panoramafenster seitlich neben der Haustür. Ein Haus von der Sorte, wie es ein gediegener Handwerker besitzen würde – ein nüchterner Bau aus den fünfziger Jahren, mit einem kleinen Garten, einer Doppelgarage hinter dem Haus und einem in der Einfahrt stehenden geräumigen Kombi mit den blauen Nummernschildern des Staates Michigan und darauf den Buchstaben HERB’S .
Herb kommt um die Hausecke gerollt und hinterläßt Reifenspuren im schmelzenden Schnee. Im selben Augenblick, in dem er auftaucht, legt Mr. Smallwood den Gang ein, prescht davon und verschwindet um die nächste Ecke, so daß ich mit Herb Wallagher allein vor dem Haus stehe, wie ein Herumtreiber, der nicht mehr weiter weiß.
»Ich habe Sie mir größer vorgestellt«, ruft Herb mit einem breiten Zahnlückengrinsen. Er schleudert mir eine gewaltige Hand entgegen, und als ich sie packe, reißt er mich fast zu Boden.
»Und ich hab Sie mir kleiner vorgestellt, Herb«, sage ich, auch wenn es gelogen ist. Er ist viel kleiner, als ich gedacht hatte. Seine Beine sind geschrumpft, und die Schultern sind knochig. Nur Kopf und Arme sind ordentlich groß und geben ihm hinter seiner dicken Hornbrille ein
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