Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
illegale Herunterladen von Filmen und Musik zu verfolgen. Das zeigt, wie problematisch Hyperbeln sind und wie gefährlich es ist, seinen Wählern ständig Angst machen zu wollen, um ihnen härtere Gesetze zu verkaufen. Die normale und die schwere Kriminalität mussten schon so oft als Rechtfertigung herhalten, dass sie nicht mehr als Schreckensbild taugen. Was aber kommt nach der schwersten Kriminalität , die überschwerste, die → brutalstmögliche , die unvorstellbare? Wir werden es wohl leider bald erfahren.
L
Lackmustest
Malapropismus, also Falschverwendung. Der Begriff stammt aus der Chemie. Dort dient der Lackmustest als Indikator für den pH-Wert einer Substanz und zeigt an, ob sich diese eher sauer oder eher basisch verhält. Mit ihm lässt sich also lediglich ein Ist-Zustand demonstrieren. Er ist kein Test, der Zustände nuanciert unterscheiden oder gar Aussagen über die Zukunft treffen kann. Politiker oder Medien, die behaupten, eine bestimmte Handlung sei der Lackmustest für eine Partei und lasse zum Beispiel den Schluss zu, wie sie sich demnächst verhalte, verwenden den Begriff nicht so ganz korrekt. Denn es geht beim Lackmustest nie um eine Richtungsentscheidung. Mindestens ebenso unsinnig ist die Behauptung, der Lackmustest sei ein Test, den irgendein System in irgendeiner Form bestehen müsse. Ein Lackmustest kann nicht bestanden werden. Ein politischer Lackmustest könnte bestenfalls anzeigen, ob jemand gerade schwarz, rot, grün oder gelb ist. Will man ihn denn unbedingt als Metapher verwenden, dann also höchstens dafür, ob jemand gehalten hat, was er zuvor versprach.
Leichtlohngruppe
Bis vor wenigen Jahren wurde in Tarifverträgen noch zwischen leichter und schwerer körperlicher Arbeit unterschieden, die verschieden entlohnt wurde. In der Leichtlohngruppe waren also jene, die sich körperlich nicht so anstrengen mussten und deshalb weniger Geld bekamen. Das waren komischerweise vor allem Frauen. So komisch aber war das gar nicht, denn die Leichtlohngruppe wurde überhaupt nur eingeführt, um irgendwie zu rechtfertigen, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen als Männer. Sie sollte Diskriminierung kaschieren. Daher spielte im Sprachgebrauch eine Schwerlohngruppe auch nie eine Rolle. Diese Lohngruppen verschwinden langsam, der Begriff Leichtlohngruppe leider nicht. (Die Diskriminierung von Frauen auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte.) Weil es schon einmal so gut funktioniert hat, wird die Leichtlohngruppe nun von dem einen oder anderen Politiker recycelt. Dieses Mal jedoch wird die Diskriminierung nicht einmal mehr mit einer angeblich unterschiedlichen Arbeitsbelastung beschönigt. Zur Leichtlohngruppe gehören nun einfach jene Menschen, die weniger als das in ihrem Beruf sonst »Übliche« verdienen. Was aus dem Begriff einen Euphemismus für Mindestlohn macht, gern auch als Niedriglohnsektor ( → Niedriglohngrenze ) bezeichnet. Denn letztlich geht es um Ausbeutung. Der wird damit das Mäntelchen umgehängt, sie habe etwas mit Tarifverträgen zu tun, und es sei völlig in Ordnung, die Leute mies zu bezahlen.
Leistungsschutzrecht
Jeder Urheber hat das Recht, seine Leistung zu schützen. Das ist das sogenannte Urheberrecht. Es entstand in Folge der Französischen Revolution und soll verhindern, dass Verleger in ihrer Profitgier die Schöpfer geistiger Werke ausbeuten. Der Begriff Leistungsschutzrecht , den sich Verleger vor einiger Zeit für ein neues Recht ausgedacht haben, das sie sich von der Bundesregierung wünschen, kann daher nur genial genannt werden: klingt er doch wie eine mindestens ebenso berechtigte Forderung. Geschützt aber wird mit dem Leistungsschutzrecht nicht etwa die Leistung der Urheber, geschützt werden sollen diejenigen, die mit eben dieser Urheberleistung Geschäfte machen. Siehe auch → Kreativwirtschaft . Das Leistungsschutzrecht ist somit der Versuch von Mittelsmännern, auch Makler genannt, ihre vergleichsweise geringe Mühe zu vergolden und der einst durch das Urheberrecht beschnittenen Profitgier wieder mehr Raum zu geben. Dabei war schon den Kaufleuten der mittelalterlichen Hanse klar, dass solche Vermittler weniger leisten als die Urheber, und sie drückten es in ihrer Sprache aus. So ist das niederdeutsche makeln eine Verkleinerungsform (Diminutiv) des Verbs maken , »machen«. Weniger ist mehr, kann man dazu nur sagen und vor so viel Unverfrorenheit entgeistert das schöpfende Haupt
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