Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Geräte nun lieber einen Terminus technicus. Der ist eine Übersetzung aus dem Englischen, wo die Dinger als unmanned aircraft system bezeichnet werden. Das erhebt den Anspruch, neutral und präzise zu sein. Dabei lässt der Begriff offen, worum es eigentlich geht, denn er nutzt das Füll- oder Passepartoutwort System , das überall passt. So erscheinen die ferngesteuerten Militärgeräte geradezu unbedarft und harmlos. Der Ausdruck Drohne hingegen, der natürlich nur eine Metapher und damit unscharf war, hatte einen bedrohlichen Unterton. Darüber, dass der nun verschwunden ist, sind viele Politiker sicher nicht traurig. Denn sie planen gerade, das eine oder andere Gesetz zu ändern, damit die eigentlich als Kriegsgerät entwickelten unbemannten Luftfahrtsysteme auch von der Polizei eingesetzt werden können, um Menschen zu überwachen.
M
Markenkern
Politische Parteien sollen gesellschaftliche Visionen verwirklichen und die Hoffnungen derer erfüllen, von denen sie gewählt wurden. Marken sollen denen Geld bringen, die sie sich ausgedacht haben. Wenn es daher heißt, der Markenkern der FDP sei beschädigt, → innere Sicherheit mache den Markenkern der CDU aus oder der Atomausstieg gehöre nicht zum Markenkern der SPD, dann stimmt etwas nicht. Offenbar handelt es sich hier um eine Art Wirtschaftssprech. Politik als Produkt, gezielt entwickelt, um sich am Wählermarkt gut verkaufen zu lassen. Es mag leider wahr sein, dass die einst zum politischen Kampf und zur Verbesserung der Gesellschaft gegründeten Organisationen nur noch solche sind, die irgendwelche Produkte verkaufen. Gut ist es nicht. Weil sie dann nicht mehr vertreten, was ihre Wähler sich erhoffen: Überzeugungen. Sondern nur noch das, von dem sie glauben, dass es sich möglichst leicht und billig erreichen lässt. Politik vergisst auf diese Art, wozu sie da ist. Sie hat keine Ziele mehr. Und eine politische Partei wie die FDP, die sich sogar an ihre liberalen Inhalte erinnern lassen muss, hat diese eben offensichtlich längst vergessen und besitzt somit auch keinen Markenkern . Die Aussage, er sei nun beschädigt, dürfte damit – zumindest was die FDP betrifft – eine starke Untertreibung sein.
Markt, der
Wenn Gegenstände zum Leben erwachen, ist Vorsicht geboten, denn sie können ungeahnte Kräfte entfalten. Das gilt nicht nur für wassertragende Besen. Auch Märkte können, werden sie zum Leben erweckt, Übles tun. Beispielsweise von Regierungen etwas fordern, ja gar verlangen: Entscheidungen zum Beispiel, vor allem aber mehr Geld. Plötzlich ist dann so ein Markt gar »von Stimmungen getrieben«, ist unberechenbar und launisch wie ein pubertierender Jugendlicher. Leben die Märkte tatsächlich? Nein, das darf als unwahrscheinlich gelten. Was also soll das? »Wenn es ein Phänomen wie das absolute Böse überhaupt gibt, dann besteht es darin, einen Menschen wie ein Ding zu behandeln.« Den Satz schrieb John Brunner einst in seinem Science-Fiction-Roman »Schockwellenreiter«. Menschen zu Dingen zu machen, ist eine beliebte Strategie, um Denken zu beeinflussen. Umgekehrt funktioniert es genauso prima. Denn wenn der Markt einen eigenen Willen hat, wenn er gar etwas verlangen kann, trifft Politiker keine Schuld, wenn sie ihm das Verlangte geben. Dann unterliegen sie gar einem Gesetz des Marktes . Die armen, hilflosen Politiker können also gar nicht anders, als die mächtigen und reichen Banken mit bei Bürgern eingesammelten Milliarden zu beschenken. Wer aber den Handel mit Geld und Aktien personifiziert, wer behauptet, bunt bedrucktes Papier habe Pläne und Wünsche, der will nur die wahren Verantwortlichen und Forderer nicht benennen. Der will damit seine Unfähigkeit verstecken und seine Verantwortung wegschieben an eine abstrakte Entität, die niemand greifen oder gar belangen kann. Vielleicht aber will er auch nur verbergen, wie macht- und hilflos er eigentlich ist. Eine Bundeskanzlerin zumindest, die ständig ängstlich warnt, die Märkte dürften nicht beunruhigt werden, kann nicht sehr einflussreich sein. Sonst wäre ihr die Unruhe irgendeines Aktienhändlers egal. So wichtig ist dieses Verstecken, dass der Markt nicht nur personifiziert, sondern sogar divinisiert, also verteufelt wird. Wenn der Markt zu einem Gott wird, ist jedes Handeln in seinem Sinne → alternativlos . Wer es wagt, an dieser Allmacht zu zweifeln, gilt als Tor. Oder schlimmer noch: als Ketzer. Denn schließlich sind die Banken bitterarm und notleidend,
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