Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
schütteln.
Leistungsträger
Positiv soll es klingen, lobend und auf keinen Fall diskriminierend. Jedoch verbirgt sich hinter diesem einen Wort eine ganze Verleumdungskampagne. Denn wo es Leistungsträger gibt, da müssen irgendwo auch nichts tuende Schmarotzer herumlungern, oder? Die werden natürlich nicht so genannt, sondern von denen, die sich als Leistungsträger betrachten, heuchlerisch als »Minderleister« bezeichnet. Und genau darum geht es: Der Begriff soll die Gesellschaft spalten, er soll hetzen gegen jene, die staatliche Hilfe erhalten, und er soll den Sozialstaat, der einst als Errungenschaft bejubelt wurde, abschaffen helfen. Denn der Staat, der Schwachen hilft, stört manche Leute. Schließlich kostet er Geld, und dieses Geld wird den Leistungsträgern weggenommen, um es irgendwelchen Faulpelzen, Verzeihung, um es Transferbeziehern zu geben. Das finden zumindest die Leistungsträger und die, die sie politisch gern repräsentieren würden. Hier wird also bewusst die Öffentlichkeit manipuliert, damit die Reichen nicht mehr gezwungen sind, ihren Reichtum mit den Armen zu teilen. Nur nebenbei: Wer den Sozialstaat abschaffen will, handelt verfassungsfeindlich. Immerhin heißt es in Artikel 20 und Artikel 28 des Grundgesetzes, die Bundesrepublik Deutschland sei ein »sozialer Rechtsstaat«.
Leuchtturmprojekt
Wer mit Metaphern protzt, der läuft Gefahr, dass diese sich an ihm rächen. Das Leuchtturmprojekt ist ein Beispiel dafür. Bezeichnet wird damit die Politik, sich ein einzelnes Projekt herauszusuchen und dieses mit Geld zu beglücken – statt viele Projekte zu fördern, was schnell mal Millionen oder gar Milliarden kosten würde. Der so Herausgehobene soll dann, so die Theorie, wie ein Leuchtturm in dunkler Nacht erstrahlen, er soll eine Signalwirkung haben und allen anderen als Ansporn dienen, ebenso hell zu leuchten. Dass das funktioniert, ist unbewiesen. Immerhin bekommen die anderen keine Förderung und haben auch wenig davon, dass ein spezielles Projekt nun besonders bekannt ist. Die gewählte Metapher gibt bereits einen Hinweis auf diesen Mangel. Denn ein Leuchtturm erhellt nichts. Sein Licht dreht sich ununterbrochen, es überstreicht jeden Punkt und verweilt nie. Und die Richtung weisen kann er nur dem, der im richtigen Augenblick in seine Richtung schaut und womöglich vor Untiefen oder Klippen gewarnt davonrudert. Womit der Leuchtturm eher ein Sinnbild für die Kurzsichtigkeit dieser Politik ist. Die, nur weil sich das besser finanzieren und leichter vermarkten lässt, auf ein einzelnes Ding kurz ihre Aufmerksamkeit richtet. Siehe auch → Exzellenzinitiative .
Liberalismus, mitfühlender
Der Liberalismus ist eine Ideologie, die dem Individuum mehr Rechte geben will und dem Staat weniger. Was erst einmal ja nicht schlecht sein muss. Das von der FDP hinzugefügte Attribut mitfühlend gibt nun aber Aufschluss darüber, was diese Ideologie eigentlich bedeutet und dass ihre Anhänger sich dessen durchaus bewusst sind. Warum sonst sollten sie versuchen, den Liberalismus durch dieses Adjektiv sympathischer erscheinen zu lassen? Da es nun einen mitfühlenden Liberalismus gibt, fühlte der normale Liberalismus offensichtlich nicht so richtig mit. Aber auch der neue mitfühlende Liberalismus tut es nicht, denn hier wird der Ideologie eine Eigenschaft zugeschrieben, die sie eben nicht besitzt: Der Liberalismus will nicht, dass der Staat sich in das Leben seiner Bürger einmischt und ihnen hilft, auch nicht, wenn sie straucheln und Hilfe brauchen. Der mitfühlende Liberalismus will ihnen übrigens auch nicht helfen. Er will mit seinen Opfern ja nur mitfühlen, also Mitleid haben. Was gut klingt, aber nichts kostet und niemandem etwas bringt. Vgl. auch den Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Dieser war ebenfalls eine Attribuierung, die vor allem darauf hinwies, dass der Sozialismus eben nicht menschlich war und daher mit einem solchen Antlitz maskiert werden musste.
Lohnnebenkosten
Das viel gebrauchte Lexem suggeriert, dass der Lohn, also die Bezahlung für eine geleistete Arbeit, den → Arbeitgeber etwas kostet. Grundsätzlich sind Kosten selten positiv konnotiert, wir haben sie nicht gern. Das rückt den Lohn ein Stück weg von der als fair empfundenen Idee der Bezahlung von Arbeitskraft. Weiterhin vollführt die Präposition neben als Kompositionsglied im Zusammenspiel mit ihren Nachbarn zur Linken und zur Rechten den sprachlichen Zaubertrick, nahezulegen, Lohn und Kosten
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