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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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müssten unabhängig voneinander betrachtet werden. Die Nebenkosten also seien ein zusätzlicher Preis, den der →   Arbeitgeber aufbringen müsse und der nicht durch die Arbeitsleistung der →   Arbeitnehmer erbracht werde. Das ist natürlich Unsinn. Wäre es tatsächlich so, würde kein einziges Unternehmen Gewinn erwirtschaften. Die Klage über die angeblich so hohen Lohnnebenkosten dient allein dazu, den Lohnempfängern ein schlechtes Gewissen zu machen, um eben jene Gewinne noch zu steigern. Drum merke: Wenn sie an dein Gewissen appelieren, wollen sie dir das Fell über die Ohren ziehen.

Lohnuntergrenze
    Wortneuschöpfung, bis vor kurzem noch durchaus treffend als Mindestlohn bezeichnet. Der jedoch offensichtlich der Wahrheit zu nahe kommt, indem er andeutet, dass die gezahlte Summe wirklich das Mindeste ist, was man Menschen zumuten sollte, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Die Lohnuntergrenze dagegen klingt gleich viel weniger ausbeuterisch, ja geradezu wie ein Naturgesetz. Wird der Mindestlohn auf diese Art verschleiert, kann sich selbst die CDU mit der Idee anfreunden, dass harte Arbeit auch ein Mindestmaß an Geld erbringen sollte. Um wirklich jedem klar zu machen, wie absurd die Wortschöpfung ist, hat die CDU sich dankenswerterweise entschieden, das Konzept zwar Lohnuntergrenze zu nennen, eine dazugehörende Untergrenze aber gerade nicht festzulegen. Eine grenzenlose Grenze sozusagen, was völlig neue Möglichkeiten der Propaganda nach dem Muster eröffnet: »Wir sagen jetzt hier mal Stopp! Denn das klingt immer gut. Aber wir fürchten natürlich die Konsequenz, weswegen wir nicht verraten, an welchem Punkt gestoppt werden soll.« Clever. Allerdings hat sich die neusprechende Union mit der Lohnuntergrenze auch in eine argumentative Falle begeben. Denn wo es eine Untergrenze gibt, muss natürlich auch irgendwo eine Obergrenze existieren. Weswegen wir dringend mal wieder über die Boni und Prämien der →   Leistungsträger reden sollten. Falls die grundlosen Zahlungen in irrer Höhe, die sich die Begünstigten meist selbst genehmigen, denn überhaupt noch so genannt werden.

Lohnzurückhaltung
    Zurückhaltung ist etwas Vornehmes, etwas, das man freiwillig übt, um sich und anderen das Leben angenehmer zu machen. Genau wie die →   Kaufzurückhaltung hat die Lohnzurückhaltung jedoch mit dieser Art der Höflichkeit nichts zu tun. Im Gegenteil. Sie ist der verbrämte Befehl an all jene, die ihre Arbeitskraft für einen Lohn verkaufen müssen, dies doch gefälligst billiger zu tun, um so die Gewinne einer Firma zu steigern. Man könnte es auch Erpressung nennen. Zu allem Überfluss steckt darin der Vorwurf, selbst schuld zu sein, wenn man für seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr bekommt und im Zweifel gar →   freigestellt wird, schließlich war man offensichtlich zu teuer. Welche Chuzpe, Ausbeutung als Solidarität zu verkaufen! In den achtziger Jahren gab es diese zynische Kampagne schon einmal, damals hieß das Schlagwort »Lohnvernunft«. Die wurde selbstverständlich von denen erwartet, die Lohn erhalten, nicht etwa von denen, die ihn zahlen. Seltsamerweise hat noch niemand eine Gewinnzurückhaltung oder eine Überschussvernunft angemahnt, wahrscheinlich weil die Suche nach solch noblen Eigenschaften bei Konzernlenkern vergeblich wäre. Wie sonst ist es erklärbar, dass Chefs großer amerikanischer Firmen inzwischen an einem Tag mehr verdienen als der durchschnittliche Arbeiter in einem Jahr? Übrigens mit steigender Tendenz.

Luftfahrtsystem, unbemanntes
    Manchmal führt der Versuch, einen Gegenstand so neutral wie möglich zu beschreiben, in die Irre. Oder sagen wir vorsichtiger: in eine völlig neue Richtung. Das unbemannte Luftfahrtsystem beispielsweise ist gemeinhin als Drohne bekannt. Das Wort meint ursprünglich zwar die männlichen Bienen, allerdings ist es längst als Synonym für jene ferngesteuerten Flugzeuge gebräuchlich, die vom Militär eingesetzt werden, um Gegner am Boden zu beobachten. Ursprünglich war das eine durchaus treffende Umschreibung, denn wie die männlichen Bienen hatten auch die ersten militärischen Drohnen keinen Stachel. Allerdings gibt es längst Modelle, die Stacheln haben, also schießen können und zum Beispiel für →   gezielte Tötungen eingesetzt werden. Sie müssten, um im Bild zu bleiben, nun Bienen heißen. Ein Vergleich mit den Insekten ist aber offensichtlich nicht länger gewünscht. Die Politik nutzt zur Beschreibung der

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