Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Massenvernichtungswaffen .
Maßnahme
Jede Sprache bietet eine Reihe von Wörtern an, die wenig Inhalt transportieren oder sprachwissenschaftlich formuliert: die eine geringe Bedeutungsintension haben. Solche Wörter sind praktisch. In der Umgangssprache nutzen wir sie vor allem als Platzhalter, wenn uns kein treffenderer Begriff einfällt. In der Politik haben sie eine etwas andere Funktion. Dort sollen sie gezieltes Handeln vortäuschen beziehungsweise verbergen, dass die gerade vorgestellten Pläne nicht wirklich konkret sind. Die Maßnahme ist dafür der Prototyp. Sie taugt für jede Art von politischem Aktionismus. Ständig gibt es irgendwelche Maßnahmenbündel, Sofortmaßnahmen oder Maßnahmenkataloge. In allen möglichen Zusammenhängen taucht das Wort auf, es hat, wie es in der Sprachwissenschaft heißt, eine hohe Verwendungsextension. Zumal der Ausdruck aufgrund seines etymologischen Zusammenhangs mit »Maß nehmen«, also »angemessen, geplant und überlegt handeln«, die Assoziation weckt, dort wüsste jemand, was er tut. Was wirklich gemeint ist? Nicht so wichtig. Beziehungsweise soll genau das verschwiegen werden. Denn die Maßnahme lässt sich auch prima nutzen, um ein Vorgehen zu verschleiern. Wie beispielsweise bei Polizeimaßnahmen, bei denen es sich dann um Hausdurchsuchungen, Überwachungen oder einen Unterbindungsgewahrsam handeln kann. Siehe auch → Ereignis .
Mautbrücke
Brücken verbinden und überwinden Gräben und Schluchten. Nicht so die Mautbrücken . Sie überspannen zwar Autobahnen, allerdings nur, damit an ihnen Kameras und Scanner befestigt werden können, um die darunter hindurchfahrenden Autos zu überwachen. Die Geräte registrieren einerseits bei vorbeifahrenden LKW die Signale, die dort eingebaute Sender funken. Stichprobenartig nutzen sie diese zur Kontrolle, ob der Fahrer die entfernungsabhängige Straßennutzungsgebühr bezahlt hat. Doch das vom Mittelhochdeutschen mute abstammende Maut, das »Zoll« oder »Gebühr« heißt, beschreibt die Fähigkeiten der Mautbrücken nur unzureichend. Denn das deutschlandweit installierte System kann theoretisch den gesamten Verkehr auf allen Autobahnen und vielen Bundesstraßen erfassen und das nicht nur mittels der Scanner. Kameras fotografieren die Nummernschilder jedes vorbeifahrenden Fahrzeugs, und Computer analysieren anschließend diese Fotos, um die Buchstaben-Zahlenkombination zu erkennen. Die dabei anfallenden Daten eignen sich, werden sie gespeichert, hervorragend zur Verfolgung eines Fahrzeugs über größere Entfernungen. Je nach Dauer der Speicherung könnte auch noch nach Jahren festgestellt werden, wo sich jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt befand. Die korrekte Bezeichnung der Mautbrücken wäre daher Kontrollpunkt oder Überwachungsstation.
Mehrheit, schweigende
Ist so etwas wie der Joker politischer Debatten. Sie kann bei beliebigen Themen herangezogen werden, um fehlende Argumente zu ersetzen, und dient bevorzugt als Legitimation einer unpopulären Entscheidung oder einer radikalen (Einzel-)Meinung. Die schweigende Mehrheit wirkt dabei wie eine greifbare Entität und erweckt den Eindruck, es gäbe neben dem Sprecher noch viele, einheitlich handelnde Akteure mit konsistentem, widerspruchsfreiem Willen. Zwar steht sie zu Recht unter dem Verdacht, ein Trugbild – sprachwissenschaftlich Simulakrum genannt – zu sein. Doch ist der Beweis, ob sie existiert oder nicht und das Behauptete unterstützt oder ablehnt, nahezu unmöglich. Für eine schweigende Mehrheit zu sprechen, hat mehrere Vorteile: Erstens lässt es den Populisten wie ein Sprachrohr Vieler und damit wichtiger erscheinen. Zweitens lässt es ihn mutig wirken, gibt er doch vor, Dinge zu äußern, die andere sich nicht zu sagen trauen; üblicherweise gerechtfertigt mit dem Zusatz: »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.« Drittens ist es ohne Risiko, denn wie sagt das Bonmot ungenauer Herkunft: »Was will die schweigende Mehrheit?« »Keine Ahnung, sie sagt ja nichts.«
Meiler
Ein Meiler ist eigentlich ein Holzhaufen, der langsam zu Holzkohle verschwelt und der so heißt, weil viele Scheite aufeinandergestapelt werden. Wortursprung ist das lateinische milarium , für »Tausendschaft« oder »Haufen«. Doch werden so auch Atomkraftwerke bezeichnet. Das ist etymologisch zumindest nicht völlig falsch. In diesen werden zwar keine Holzscheite, dafür aber Urandioxidpellets gestapelt. Damit aber endet die Ähnlichkeit. Denn das Uran verbrennt nicht,
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