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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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keine weiteren Länder solche Waffen haben. Selbstverständlich wäre es besser, wenn die Zahl der Staaten mit Atomwaffen zurückginge, am besten auf Null. Der Einsatz von Atomwaffen führt schließlich immer zu einer Katastrophe. Allein schon Produktion und Lagerung sind kreuzgefährlich, und für ihre Entsorgung gibt es auch kein Szenario. Aber warum nutzen die fünf diese seltsame Verneinung, um das auszudrücken? Verbreitung immerhin ist ein sogenanntes Handlungssubstantiv, ein Nomen actionis. Das kann nicht negiert werden, denn was soll eine Nicht-Handlung sein? Beziehungsweise gibt es in unserer Sprache bessere Wörter dafür wie Beschränkung oder Verbot. Auch das als Umschreibung von Atomwaffen gewählte Adjektiv »nuklear« lässt den Verdacht aufkommen, dass hier etwas nicht ganz so deutlich gesagt werden soll. Der Zusammenhang wird klarer, wenn man die Realität betrachtet. Denn neben den fünf sogenannten offiziellen Atommächten gibt es mindestens vier weitere Staaten, die solche Waffen besitzen. Entweder also ist der Ausdruck nukleare Nichtverbreitung das verdruckste Eingeständnis, dass ein Besitzverbot nicht wirklich funktioniert. Oder aber es ist die verklausulierte Aussage, dass die fünf es nicht sonderlich ernst meinen mit ihrer Beschränkung der Atomwaffen.

Niedriglohngrenze
    Euphemismus, meint nicht »niedrig«, sondern »niedrigst«, ist es doch die untere Grenze des gern sogenannten Niedriglohnsektors oder der →   Leichtlohngruppe , also eigentlich ein Mindestlohn. Beziehungsweise einfach eine grauenvoll schlechte Bezahlung. Siehe auch →   Lohnuntergrenze und →   Einstiegslohn .

O
    Obsoleszenz, geplante
    Von der Industrie erdachter Technizismus, daher ein nach fachlicher Kompetenz klingender Begriff, der einen Zusammenhang verschleiern und nicht etwa erklären soll. Ableitung vom lateinischen obsoletus für »abgenutzt«. Als geplante Obsoleszenz wird seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die verbreitete Praxis bezeichnet, Produkte so zu konstruieren, dass sie nach einer festgelegten Zeit entweder abgenutzt und damit alt aussehen, den Dienst verweigern oder tatsächlich kaputt gehen. Geplante Obsoleszenz ist also ein wichtiger Charakterzug der umgangssprachlichen Wegwerfgesellschaft. So sperren in den meisten Druckern so genannte Betriebsstundenzähler nach einer festgelegten Zahl von Druckvorgängen die Geräte, obwohl kein Defekt vorliegt. Der →   Endkunde soll dadurch gezwungen werden, ständig neue Gegenstände zu kaufen, obwohl es nicht notwendig wäre und er sie nicht braucht. Das steigert zwar den Absatz und gefällt dem →   Markt . Gleichzeitig wird allerdings die Natur stärker zerstört und mehr Müll produziert. Der Prozess ließe sich also auch als Vergeudungswirtschaft oder als Müllproduktion beschreiben. Die geplante Obsoleszenz ist somit ein Euphemismus, der gerne auch mit dem Euphemismus »Produktlebenszyklus« umschrieben wird. Gemeint ist in beiden Fällen das geplante Versagen und die Tatsache, dass Entwickler sich als Zerstörer betätigen. Die geplante Obsoleszenz wurde in vielen Bereichen des Lebens installiert, siehe unter anderem →   depublizieren . Ursache ist der gefährliche Wahn, die Wirtschaft müsse ständig wachsen.

Onlinedurchsuchung
    Der Ausdruck ist angelehnt an die seit langem praktizierte und akzeptierte Hausdurchsuchung und impliziert so ein offenes und rechtsstaatliches Vorgehen. Dabei hat die Onlinedurchsuchung mit der Durchsuchung der Wohnung nicht das Geringste zu tun. Bei Letzterer kommen uniformierte Beamte und suchen nach Möglichkeit im Beisein, mindestens aber mit Wissen des Bewohners nach Beweisen. Haben sie alle Ecken und Schubladen betrachtet, gehen sie wieder. Bei Ersterer wird der Computer der Betroffenen heimlich, daher zwingend ohne sein Wissen verwanzt, und es werden über einen längeren Zeitraum möglichst unbemerkt immer wieder Daten von seiner Festplatte kopiert, beziehungsweise sogar manipuliert und gelöscht. Online ist die Durchsuchung auch nicht so richtig. Denn das Spähprogramm wird dazu auf dem Rechner selbst installiert, meistens manuell, und schickt lediglich seine Funde über das Internet, also online, an seine Auftraggeber. Die Onlinedurchsuchung soll also verharmlosen und einem schwer umstrittenen Verfahren, das vom Bundesverfassungsgericht als Verfassungsbruch angesehen wird, einen rechtsstaatlichen Anstrich geben. Sie sollte daher besser Computerverwanzung, heimliche

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