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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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reagiert also nicht mit Sauerstoff oder einem anderen Oxydationsmittel. Auch tauschen die bei einer Kernspaltung beteiligten Stoffe Neutronen aus und nicht wie bei der Verbrennung Elektronen. Hinzu kommt, dass die verkohlten Holzscheite das nützliche Endprodukt eines Meilers sind, während die Uran- oder Plutoniumstäbe im Atomkraftwerk in lebensgefährlichen Müll umgewandelt werden, der dringend in ein →   Endlager gehört. Weswegen der Meiler im Zusammenhang mit der Kernspaltung getrost als rhetorische Strategie gelten darf, Unbekanntes und Gefährliches so zu benennen wie schon lange bekannte und noch dazu nützliche Dinge. In der Werbung heißt so etwas Imagekampagne.

Migranten
    Anfangs hießen jene, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, Gastarbeiter. Wie liebe Gäste, die hoffentlich bald wieder gehen. Dann machten Behörden aus ihnen die sogenannten Arbeitsemigranten, also Auswanderer. Später wurde ihnen die »Arbeit« und das »e-« wieder weggenommen, und sie mutierten zu Migranten . Der Ausdruck soll »politisch korrekt«, also möglichst neutral und wenig diskriminierend klingen. Dabei ist er doch nur entlarvend und zeigt genau das, was er verbergen will: dass kaum jemand hierzulande Fremde mag. Denn das lateinische migrare bedeutet wandern, also das ständige Bewegen zu einem anderen Ort. So als gäbe es Leute, die ziellos durch die Welt ziehen, weil sie nichts mit sich anzufangen wissen. Wörtlich sind Migranten somit Menschen, die zufällig gerade mal hier sind, (hoffentlich) aber (bald) wieder woanders hingehen. Das aber tun die wenigsten, denn sie kommen, um zu bleiben, beziehungsweise wurden hier geboren, sind also Inländer. Wir wollen das nur noch immer nicht wahrhaben und reduzieren letztere lieber auf den sogenannten Migrationshintergrund. Denn wir Deutschen mögen offensichtlich keine anderen Kulturen. Da Fremdenhass jedoch nicht so angesehen ist in der Welt, denken wir uns neue Begriffe aus, um ihn zu verschleiern. Siehe auch →   Integrationsverweigerer .

Mindestspeicherdauer
    Auch Mindestspeicherfrist oder Mindestdatenspeicherung genannt. Euphemistische Umschreibung für ein ursprünglich als →   Vorratsdatenspeicherung bezeichnetes Überwachungsverfahren. Mit dem neuen Begriff Mindestspeicherdauer versuchen Innenminister und Polizisten, das Ganze einerseits als unumgänglich, andererseits als harmlos darzustellen. Vor allem der erste Teil des Kompositums gibt das Versprechen, dass nur gespeichert wird, was wirklich dringend nötig ist. Gleichzeitig legt der Ausdruck nahe, dass es sich beim flächendeckenden Speichern aller deutschen Verbindungsdaten nur um einen klitzekleinen, harmlosen Eingriff in die Grundrechte handelt. Dabei hat sich trotz der Kritik des Bundesverfassungsgerichts an den Plänen in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. Interessant ist dabei nicht nur der erneute Versuch, die Deutschen mit Hilfe sprachlicher Maskeraden für dumm zu verkaufen. Interessant ist auch die Entwicklung des Begriffes. Der Ausdruck →   Vorratsdatenspeicherung versuchte noch, die Überwachung ohne Anlass und Verdacht als positiv darzustellen. Der neue Euphemismus soll sie nun als notwendig, ja als →   alternativlos erscheinen lassen. Damit drücken die betreffenden Politiker vor allem aus, dass sie sich über die Sorgen eines großen Teils ihrer Bürger genauso hinwegsetzen wie über die Kritik des Bundesverfassungsgerichtes. Und es zeigt, dass Neusprech eine Funktion hat, nämlich demjenigen, der davon Gebrauch macht, Schutz zu geben: Schutz vor Kritik, Schutz vor Anfeindung, Schutz vor Verantwortung. Tut ein Begriff das nicht mehr, braucht es eben einen neuen Namen für das alte Phänomen. Das ist wie mit vergammeltem Fleisch. Das lässt sich auch besser verkaufen, wenn man es neu verpackt und ein neues Haltbarkeitsdatum draufdruckt.

Mitbestimmung, marktkonforme
    Angesichts des parlamentarischen Unwillens, eine →   Finanztransaktionssteuer einzuführen, und der Leichtigkeit, mit der gleichzeitig Milliarden an angeblich →   systemrelevante Banken verschenkt werden, ist längst offensichtlich, wer in der Politik das Sagen hat. Manchmal geben das inzwischen sogar die Politiker selbst zu. Beispielsweise sagte die Bundeskanzlerin, es gehe darum, »die parlamentarische Mitbestimmung« so zu gestalten, »dass sie trotzdem auch marktkonform ist«. Der Bundestag, heißt das, hat nur solange etwas zu sagen, wie er das Gleiche will

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