Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
machen. Denn wer vom Sozialpartner etwas fordert, zum Beispiel mehr Lohn, der zerstört natürlich die Partnerschaft. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Partnerschaft, privilegierte
Die privilegierte Partnerschaft klingt wie eine enge Beziehung zwischen zwei Gleichberechtigten. Im politischen Alltag ist sie jedoch genau das nicht. So erfanden konservative Politiker für den Ehewunsch all jener Menschen, die nicht dem kirchlichen Ideal entsprechen, die eingetragene Partnerschaft. Sie hätten das Ganze auch einfach Homoehe oder noch simpler Ehe nennen können. Genau das aber sollte auf jeden Fall vermieden werden. Ganz bewusst ist diese Partnerschaft der Ehe nur »nachgebildet«. Sie soll eben nicht gleichrangig sein, sie soll ausgrenzen, nicht integrieren. Dieses Konzept der Segregation (das Gegenteil von Integration) propagieren eben jene Politiker auch, wenn es um Länder geht, die nicht in ihr borniertes Weltbild passen. So soll die Türkei nicht Teil der Europäischen Union werden dürfen. Damit es nicht so garstig klingt, wurde ihr eine privilegierte Partnerschaft angeboten. Was jedoch nur als böser Witz gemeint sein kann. Denn Privileg bildete sich aus dem lateinischen privus für »gesondert« und lex für »Gesetz«. Es ist also ein Sonder- oder Vorrecht. Womit ein privilegierter Partner Rechte genießt, die niemand sonst hat. Das ist natürlich eine Antiphrase. Sollen der Türkei doch weniger Rechte (Privilegien) zugestanden werden als einem Vollmitglied. Nebenbei: Auch dieses ist ein interessantes Wort, impliziert es doch, dass es so etwas wie eine unvollständige oder halbe Mitgliedschaft gibt. Fazit: Sowohl das Adjektiv privilegiert als auch das Substantiv Partnerschaft verraten das wahre Ansinnen der Erfinder, sie wollen unter sich bleiben.
Pfefferspray
Eine mindestens irreführende Bezeichnung. Angesichts der Konzentration, in der die Polizei diesen Stoff einsetzt, und der daraus resultierenden brutalen Wirkung, darf die Verwendung des Begriffes jedoch als grob fahrlässig gelten. Bei dem mit Pfefferspray bezeichneten Agens handelt es sich um das Alkaloid Capsaicin, den Wirkstoff der Paprika- oder Chilipflanze. Die Benennung Pfeffer kommt wohl vom englischen chilipepper , was »Chilischote« heißt. Eine schlechte Übersetzung also. Doch das macht es nicht besser. Schon die als Gewürz eingesetzten Produkte der Chilipflanze können den menschlichen Organismus erheblich reizen. Das von der Polizei verwendete Pfefferspray hingegen ist um ein Vielfaches stärker als jedes Gewürz und hat mit Lebensmitteln, so scharf sie auch sein mögen, nicht das Geringste zu tun. Menschen können sterben, wenn sie mit Pfefferspray in Kontakt kommen, und es gibt beim Einsatz immer wieder Schwerverletzte und Tote. Die Umschreibung als Pfefferspray , die an gutes Essen und heimelige Küchen erinnert, lässt hingegen vergessen, dass es sich um eine lebensgefährliche Substanz handelt, die Polizisten als Waffe dient. Eine Waffe übrigens, deren Wirkung die Betroffenen spüren sollen: Wer versucht, sich bei öffentlichen Auftritten gegen dieses Teufelszeug zu schützen, kriegt Ärger. Kann doch eine Schutzbrille schnell als eine → Schutzwaffe gelten.
Potenzialträger
Ein Stichwort aus dem Handbuch für Wirtschaftswichtigtuer. Wer gerade sein Studium beendet hat und bei einem Unternehmen mit dem Ziel beginnt, irgendwann Chef zu werden, wird heute als Potenzialträger bezeichnet. Der Ausdruck ist eine Lehnübersetzung des englischen high potentials und soll wahrscheinlich eine Analogie zum → Leistungsträger sein. Mit dem Unterschied, dass die Potenzialträger beruflich noch nichts geleistet haben. Da das nicht so spannend klingt, wird ihnen wenigstens das Potenzial unterstellt, viel zu können. Allerdings ist der Ausdruck verräterisch, denn es wird nicht das Wort »Kompetenz« verwendet, das »Fähigkeit« bedeuten kann ( → Kompetenzzentrum ): Es geht also nicht um Fähigkeiten, vielleicht weil die Bewerber einfach noch keine haben. Stattdessen ist das Erstglied des Kompositums das Substantiv »Potenzial«, das sich von »potenziell«, daher »möglich«, ableitet. Das Konzept des Potenziellen spielt im Neusprech eine wichtige Rolle, Möglichkeiten andeuten ist schließlich immer gut, egal ob sie wahrscheinlich sind oder nicht, siehe potenzielle → Gefährder und → Störer, potenziell gewaltbereite . Ein Potenzialträger ist also jemand, der möglicherweise etwas leisten wird, möglicherweise aber auch
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