Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Festplattenüberwachung oder Datenspionage heißen.
Opfer, unschuldige
Ein Opfer ist jemand, der Schaden erleidet. Ein unschuldiges Opfer muss dann also jemand sein, der Schaden erleidet und nichts dafür kann. Ohne eigene Schuld also wurde der- oder diejenige zum unschuldigen Opfer . Klingt irgendwie logisch. Allerdings enthält diese Formulierung eine kleine Perfidie: Lässt sie doch vermuten, dass es irgendwo auch schuldige Opfer gibt, also Menschen, denen ihr Unglück zu Recht geschehen ist, die es beispielsweise verdient haben, in einer Lawine zu ersticken oder von einer Autobombe zerrissen zu werden. Das ist sicher nicht beabsichtigt, solche Gefühle der Rache gelten in den meisten Demokratien als unpassend. Manchmal allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass die seltsame Formulierung Absicht ist. Wenn die Bundeskanzlerin zum Beispiel sagt, sie bedauere »die unschuldigen Opfer in Afghanistan zutiefst«, dann bedeutet der Satz, dass sie nicht alle Opfer des Krieges dort schlimm findet. Sondern nur die unschuldigen. In den meisten Fällen wird es sich hoffentlich nur um sprachlichen Leichtsinn handeln, um den Wunsch, mit dem simpelsten Mittel des Agitators Wirkung zu erzielen: der hyperbolischen Steigerung. Doch in dem Versuch, den Ausdruck durch ein vorangestelltes Adjektiv zu verstärken, wird Unsinn kreiert. Und das unnötigerweise, denn Opfer besitzt im Deutschen die Konnotation, an seinem Schicksal nicht schuld zu sein.
P
Pakt
Lateinisches Lehnwort für »Vertrag«. Der Pakt gehört in das Wortfeld des Krieges, er ist dort ein »strategisches Bündnis«. Sein Ursprung ist der gleiche wie der des lateinischen pax für »Frieden«. Doch hat der Pakt eine negative Konnotation, sicher auch durch die Redensart »einen Pakt mit dem Teufel schließen« und durch die Verbalableitung »paktieren«. Ein Beispiel dafür ist der Warschauer Vertrag, der nur im Ostdeutschen so harmlos hieß, im Westdeutschen jedoch stets Warschauer Pakt genannt wurde. Das klang auch deshalb unheimlicher, weil damit der militärische Aspekt in den Vordergrund gerückt wurde. In jüngerer Zeit wird der Pakt wieder erstaunlich häufig verwendet: Heute gibt es zum Beispiel Hochschulpakte oder einen → Stabilitäts- und Wachstumspakt . Die Erfinder dieser Begriffe haben dabei offensichtlich nicht an den Teufel gedacht, auch wenn gerade beim Stabilitätspakt diese Assoziation nahe liegt. Sie haben auch noch einen weiteren Haken vergessen: Kriegsmetaphorik wird besonders gern verwendet, wenn statt überlegtem Handeln Aktionismus im Vordergrund steht. So sind viele der Pakte , die in letzter Zeit in der Politik geschlossen wurden, allein darauf ausgerichtet, die Symptome zu behandeln. Um die Veränderung der zugrunde liegenden Probleme geht es ihnen nicht. So kann der → Stabilitäts- und Wachstumspakt weder Wachstum noch Stabilität dauerhaft sichern, und der Hochschulpakt entlastet die Hochschulen nur vorübergehend und schafft durch die höhere Zahl von Studienanfängern eher Belastungen, statt die Finanzierung der Hochschulen dauerhaft zu sichern. Um bei der Kriegsmetaphorik zu bleiben: Es handelt sich hier um »Schnellschüsse«.
Partner
Unsere Sprache ist voll von Partnern , sie suggerieren so wunderbar Gleichberechtigung. Denn ursprünglich teilen Partner etwas, mindestens ein gemeinsames Ziel, manchmal aber auch mehr, wie zum Beispiel in einer Lebenspartnerschaft. Das Wort steht für positive Werte wie Gemeinschaft, Solidarität und Zusammenarbeit. Kein Wunder, dass viele es für sich reklamieren. Zum Beispiel in der Konstruktion Vertragspartner. Die teilen immerhin noch einen Vertrag, auch wenn sie sonst nicht viel miteinander gemein haben. Noch ausgeprägter ist die Gegnerschaft bei den Verhandlungspartnern. Aber wenigstens gibt es bei ihnen noch den gemeinsamen Tisch, an dem verhandelt wird. Von diesen Partnern ist es allerdings nur noch ein kleiner Schritt zu den Tarifparnern, die komplett gegensätzliche Interessen haben und bei denen sich die Frage stellt, was der Ausdruck Partner bei ihnen überhaupt sucht. Bei den Sozialpartnern schließlich wird er zur Lüge, teilen diese doch nur, dass sie Gegner sind, gemeinsam haben sie nichts mehr. Die Genese des Wortes zeigt damit eindrucksvoll, was mit Sprache alles möglich ist. Nicht nur, dass eine Bedeutung in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Geschickte Wortklauberei kann gar helfen, der Gegenseite, Verzeihung, dem Verhandlungspartner, ein schlechtes Gewissen zu
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