Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
das bislang verboten war.
Reform
Wunderwort politischer Alltagssprache; es verheißt so viel und heißt doch so wenig. Sein Ursprung ist das Lateinische. Dort ist formatio die »Gestaltung« und die Vorsilbe re- steht für »wieder«, »zurück«, was zusammen »Wiederherstellung, Umgestaltung«, vielleicht auch »Verbesserung« ergibt. Reform ist eine dem Substantiv »Reformation« entsprechende Rückbildung oder Kurzform. Hierzulande denkt man dabei natürlich sofort an Luther, an die Reformation und daran, dass seine Reformgedanken die europäische Gesellschaft grundlegend verändert haben. Das ist lange her. Inzwischen ist der Begriff nur noch eine Phrase. Ständig werden irgendwo Reform -Vorschläge, fertige Reformen oder gleich ganze Reform -Pakete angepriesen. Wobei der letzte Ausdruck zeigt, dass es schon die Verstärkung zu einem »Bündel« an Reformen braucht, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen, eine einzelne Reform beeindruckt niemanden mehr. Was kein Wunder ist. Reformiert werden sollen vor allem die Dinge, die der Staat sich nicht mehr leisten zu können glaubt: Gesundheitssystem, Bildung, Arbeitslosigkeit, Rente et cetera. Die Änderungen, die umgesetzt werden, ändern jedoch nie etwas an dem zugrunde liegenden Problem. Zumindest mutig klingende Vorschläge wie die → Bierdeckelsteuer versanden schnell in endlosen Debatten, übrig bleibt stets nur, dass anschließend entweder die Gebühren, Kosten, Beiträge steigen oder die dafür erhältlichen Leistungen sinken. Der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick nannte dieses Konzept »mehr desselben« und beschrieb es als »eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte« der Menschen. Trotzdem wird es hierzulande sehr gerne angewandt. Somit dürfte der Ausdruck Reform seinen ursprünglich positiven Wortsinn längst verloren haben und vor allem eines sein: ein Euphemismus.
Reformkommunikation
Eine grandiose Wortschöpfung, vor der wir nur unseren Hut ziehen können. Wir zitieren mal kurz aus dem Strategiepapier zum Thema politische Reformkommunikation der Bertelsmann-Stiftung: »Dass trotz dieser grundsätzlichen Aufgeschlossenheit hierzulande Initiativen zum Umbau des Wohlfahrtsstaates regelmäßig als Zumutung – nicht als Chance – wahrgenommen werden, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass bislang die Vertrauensbildung durch strategische Regierungskommunikation entschieden zu kurz kommt.« Wer also ist demnach schuld daran, dass Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe oder Steigerungen der Krankenkassenbeiträge als die Zumutung wahrgenommen werden, die sie sind? Die Kürzungen? Die höheren Beiträge? Nein, sondern die mangelnde Reformkommunikation – toll! Wobei der Ausdruck Reformkommunikation selbst es auch in sich hat, ist er doch Neusprech für Neusprech. Man muss den Mist nur bunt verpacken, heißt das und belegt, dass man aus dem Brett vor dem Kopf auch eine prima Waffe machen kann. Und wem das nicht reicht, es gibt in Deutschland sogar eine Professur für Reformkommunikation – beziehungsweise gab. Inzwischen ist sie ein wenig bemäntelt worden in »politische Kommunikation«.
Registerabgleich
Die Volkszählung 2011, offiziell Zensus genannt, geschah im Vergleich zu früheren so unauffällig, weil gar nicht jeder befragt werden musste. Die meisten der gewünschten Informationen waren längst digital vorhanden und brauchten nur eingesammelt zu werden. Dazu wurden insgesamt fünfzehn Datenbanken bei verschiedenen Behörden ausgewertet und in einer neuen Datenbank zusammengefasst. Unumstritten ist dieses Verfahren nicht. Die neue Superdatenbank sorgte bei Datenschützern für Unruhe. Das ergab zusammen mit den Erinnerungen an die Proteste und Klagen der letzten Volkszählung von 1987 erhebliches Potenzial für Aufregung und Ärger. Den will natürlich keiner, auch keine Bundesregierung. Insofern ist es kein Wunder, dass die Volkszählung offiziell gar nicht Volkszählung hieß. Sie wurde lieber Zensus oder Registerabgleich genannt. Der vom lateinischen census entlehnte Begriff heißt »Schätzung« und meinte im alten Rom die Begutachtung, wie reich die Bürger sind. Je nach Höhe ihres Vermögens mussten sie anschließend Steuern entrichten und sich an den Militärkosten beteiligen. Ums Geld ging es dieses Mal aber gar nicht. Die altertümliche Bezeichnung Registerabgleich wenigstens passte insofern, weil bis heute von einem Melderegister die Rede ist. Das stammt aus dem
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