Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Panikvokabel, allerdings eine eher unglücklich gewählte. Denn entweder gibt er vor, wie ein Fallschirm etwas zu bremsen, was sich ohne ihn im freien und garantiert tödlich endenden Fall befände. Gäbe es ihn nicht, bedeutet das, wären der Euro und damit unsere ganze Wirtschaft und unser Reichtum erledigt. Was aber hieße, dass der Fall unvermeidlich ist, auch mit einem Rettungsschirm , die Folgen sind nur nicht so katastrophal. Denn er kann nur bremsen, aber nichts verhindern. Oder aber es ist der Regenschirm als Ursprung des sprachlichen Bildes gemeint. Dann aber stellt sich die Frage, ob es einen solchen Schirm denn unbedingt braucht. Denn Regen macht zwar nass, bringt aber niemanden um. Beziehungsweise taugt ein Schirm nicht viel, wenn es denn so viel Wasser ist, dass der Euro darin ersaufen könnte. Der Begriff also ist ziemlicher Murks. Genau wie das Konstrukt, das damit beschrieben wird. Denn das ist eigentlich ein Geldgeschenk. Europäische Staaten bürgen für die Schulden anderer europäischer Staaten. Und da Staaten nur das Geld ausgeben können, das sie zuvor von ihren Bürgern als Steuern eingenommen haben, haften letztlich diese. Daher ist der Rettungsschirm aus Sicht der unfreiwilligen Geldgeber eher eine Zwangsbürgschaft.
Rettungsschuss, finaler
Ein Schuss, der rettet, kann eigentlich kein schlechter Schuss sein. Dummerweise tötet er trotzdem. Denjenigen nämlich, der davon getroffen und eben nicht gerettet wird. Dass das im Zweifel ein Verbrecher ist, macht die sprachliche Aufhübschung nicht besser. Die ist in dieser Worthülse sogar gleich zwei Mal verbaut. Erstens wird, weil es schicker klingt, statt der Erschießung eines Menschen die Rettung (eines anderen) Menschen betont. Die Beschreibung des Motivs ersetzt damit die Beschreibung der Handlung, was das Ganze ein wenig ins Gegenteil verkehrt, denn gut gemeint kann im Ergebnis noch immer schlecht sein. Nun aber klingt es, als wäre es geradezu eine Ehre, auf diese Art zu Tode gebracht zu werden. Zweitens versteckt sich in final auch noch, worum es geht: Um einen Schuss nämlich, der »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird«, wie es in den Polizeigesetzen heißt. Denn der finale Rettungsschuss soll nicht einfach jemanden außer Gefecht setzen. Er soll umbringen, sofort. Durch einen gezielten Schuss ins Stammhirn, Rettung ausgeschlossen. Übrigens, nach einiger Zeit ist Polizei und Politik aufgegangen, dass der finale Rettungsschuss vielleicht doch ein wenig zu verharmlosend daherkommt. Daher heißt die Prozedur inzwischen → Tötung, gezielte .
Rückbau
Atomkraftwerke werden hierzulande nicht einfach abgerissen, wär’ ja auch schade um die Milliarden teure → Brückentechnologie . Nein, sie werden zurückgebaut. Das klingt nicht so sehr nach Chaos, Dreck und Krach, sondern nach einem planmäßigen Vorhaben, das mit großem Aufwand und entsprechender Vorsicht betrieben wird. Weswegen der Begriff wahrscheinlich so viele Anhänger findet, denn niemand will bei der Materie auch nur in den Verdacht kommen, hastig und unüberlegt mit dem strahlenden Schrott umzugehen. Allerdings verrät das Wort mehr über die Absichten der Rückbauer, als es wahrscheinlich soll: Würden Atomkraftwerke abgerissen, wäre auch sprachlich klar, dass von ihnen anschließend nichts mehr übrig ist. Der Rückbau jedoch ist nicht terminativ, er ist genau wie der → Ausstieg aspektuell nicht festgelegt, wie es in der Sprachwissenschaft heißt. Er hat also keinen eindeutig definierten Endpunkt. Bei einem Rückbau kann somit durchaus etwas übrig bleiben – was zurückgebaut wird, ist nicht unbedingt weg. Um Missverständnisse zu vermeiden, sind daher jene, die den Begriff verwenden, gezwungen, von einem vollständigen Rückbau zu sprechen. Was wiederum nahelegt, aber das war sicher ebenfalls keine Absicht, dass sie auch über einen unvollständigen Rückbau nachgedacht haben, um die Dinger irgendwann wieder in Betrieb nehmen zu können.
Rundfunkservicezentrale
Neuer Name für die Gebühreneinzugszentrale (GEZ), die wenig beliebte, aber dafür durchaus treffend bezeichnete Geldeintreibungstruppe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Diskussionen über den Umbau dieser Gebühr zu einer sogenannten Haushaltsabgabe boten Politikern offensichtlich eine gute Gelegenheit, um gleich auch ein wenig am üblen Image der GEZ zu basteln. Natürlich nur sprachlich. Daher soll aus ihr nun eine zentrale Institution werden, die
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