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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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irgendetwas mit Rundfunk und mit Service zu tun hat. Von Geld ist nicht mehr die Rede. Dabei besteht ihr Service auch weiterhin einzig darin, säumige Zahler zu mahnen und die nun Abgabe genannte Gebühr einzusammeln. Offensichtlich also ein netter Versuch, einen Euphemismus zu installieren. Konsequent war die Aufhübschung allerdings nicht. Denn hinten dran hängt noch immer die Zentrale. Bei der aber denkt man hierzulande sogleich an Finsteres, an Steuerung und Überwachung und an sprachverpfuschende Vereine wie die Bahn etwa.

S
    Schadstoffemission
    Wer die technische Bezeichnung eines Gegenstandes dem umgangssprachlichen Namen desselben vorzieht, hat unter Umständen Technik studiert und möchte das jeden wissen lassen. Allerdings sind die wenigsten Politiker ausgebildete Ingenieure. Nichtsdestotrotz ist in vielen politischen Papieren lieber von einer » Schadstoffemission durch Großfeuerungsanlagen« die Rede als von Kraftwerksabgasen oder gar Luftverpestung. Warum nur? Doch nicht etwa, weil es weniger hustenerregend klingt? Wir fürchten doch. Wenn wir Glück haben, wird der Müll in der Luft mit Smog bezeichnet. Das ist zwar ein englisches Kofferwort, bei dem sicher kaum noch jemand weiß, dass es einst aus smoke , »Rauch«, und fog , »Nebel«, gebildet wurde. Doch wenigstens war es lange so gegenwärtig, dass viele Menschen bei seiner Erwähnung noch immer sofort Asthmaanfälle bekommen. Meistens ist jedoch lieber von »Luftschadstoffen« die Rede, so als ob sie der Luft schaden würden und nicht uns. Oder von »Luftverschmutzung«, so als ließe die Luft sich waschen und sei anschließend wieder klar und frisch. Oder eben von den Schadstoffemissionen , die sprachlich nicht einmal mehr mit der Luft zu tun haben, sondern irgendwohin emittiert, also ausgestoßen werden. Je schlimmer der Dreck, desto schöner sind die Worte, die Politik für ihn findet.

Schlichtung
    Im ursprünglichen Sinn ist mit schlichten »glätten« oder »gerade machen« gemeint, zum Beispiel bei Holz durch einen Hobel oder eine Axt. Gleichzeitig konnte es aber auch »bestreichen« oder »streicheln« heißen. Auf ähnlichem Wege wie beim Verb richten (»recht machen« oder »gerade machen«) entwickelte sich daraus die Bedeutung »ordnen«. Bei beiden geht es darum, eine Lage zum Besseren beziehungsweise Glatteren zu verändern. Im Gegensatz zum Richter aber entscheidet der Schlichter nichts, schon gar nicht, wer gewinnt. Die Schlichtung soll einen Kompromiss finden, einen Weg also, bei dem alle Streitenden auf etwas verzichten. Doch ausgleichen lässt sich nur, was zuvor schon auf einer Höhe lag. Ist das Gefälle zu groß, gibt es nichts zu »glätten«, schon gar nicht, wenn der Glätter selbst keine Macht hat. Der Versuch beispielsweise, zwischen einem Milliardenunternehmen, einer Landesregierung und einigen aufgebrachten Bürgern zu vermitteln, bedeutet somit, dass es darum geht, letztere ein wenig zu streicheln und letztlich ruhig zu stellen. Mit Mitbestimmung oder gar Demokratie hat das nichts zu tun. Die Schlichtung als Instrument der Politik gaukelt beides nur vor. Ein anderes Wort dafür wäre Placebo – wer Glück hat, fühlt sich besser, an den Ursachen aber ändert sich nichts.

Schuldenbremse
    Bezeichnung für ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem 2009 festgelegt wurde, dass die jährliche Nettoneuverschuldung des Staates nicht höher sein darf als 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit werden also nicht die Schulden selbst gebremst, sondern lediglich das Machen neuer, daher eigentlich eine Neuverschuldungsbremse. Die Menge Geld, die der Staat anderen schuldet, wächst somit fröhlich weiter. Bemerkenswert ist auch die Existenz der Schuldenbremse , stand doch bislang im Grundgesetz Artikel 115 der recht eindeutige Satz: »Die Neuverschuldung darf die Ausgaben für Investitionen in der Regel nicht übersteigen.« Mithin eine Begrenzung. Die jedoch offensichtlich nicht begrenzend genug war und Ausnahmen zuließ, die von der Politik nur zu gern genutzt wurden. Seit 1962 wurden im Bundeshaushalt nur in einem einzigen Jahr keine neuen Schulden verbucht. Das Einführen einer neuen und explizit so genannten Schuldenbremse ist damit die Bankrotterklärung der Politik, die sich im Geldausgeben gesetzlich zügeln muss, weil sie es im politischen Alltag nicht vermag. Denn natürlich kommt es bei Wählern besser an, wenn man Steuern senkt oder Subventionen erhöht, wenn der Staat also mehr Geld ausgibt.

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