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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Ausgaben zu senken, ist dagegen nicht so populär. Daher passiert es nie oder wird, wenn es doch unumgänglich ist, in schöne Worte verpackt. Vgl. auch →   Kostendämpfung oder →   Wachstumsdelle .

Schutzlücke
    Polizeigewerkschaften, BKA, CDU und CSU werden nicht müde, uns zu erklären, dass ohne →   Vorratsdatenspeicherung eine Schutzlücke drohe. Das Kompositum aus Schutz- und -Lücke suggeriert, dass uns der Staat rundherum schützen könnte vor allem Bösen, gäbe es da nicht dieses eine lästige Loch, diese kleine Lücke nämlich, durch die das Böse listig lugt (das selten gewordene Verb lugen ist – aber das nur nebenbei – mit der Lücke sprachgeschichtlich verwandt). Dieses Loch nun also im ansonsten fest gefügten antiterroristischen Schutz(-Wall?) gelte es zu stopfen. Tatsächlich? Ist die Schutzlücke nicht vielmehr nur eine Schutzbehauptung? Denn zwar kann die →   Vorratsdatenspeicherung , die besser »Datenhortung« hieße, aber gern →   Mindestspeicherdauer genannt wird, getrost als bequemes Instrument gelten – zumindest für Strafverfolger. Nur schützen kann sie vor nichts und niemandem. Bestenfalls vereinfacht sie im Nachhinein die Strafverfolgung. Das ist selbstverständlich prima, aber ohne die Chance zu schützen, also Unheil zu verhindern, kann sie natürlich auch keine Lücke schließen. Falls es die denn gäbe. Im Gegenteil: Die →   Vorratsdatenspeicherung , →   Mindestspeicherdauer , Mindestdatenspeicherung bzw. Datenhortung reißt Lücken – in die Grundrechte.

Schutzverantwortung
    Zusammenziehung der »Verantwortung zum Schutz« ( responsibility to protect ). Begriff der internationalen Politik und gültige Doktrin der NATO. Dient als Rechtfertigung, um das Verbot der Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten eines souveränen Staates zu umgehen und eine »Friedenstruppe« zu einem →   Stabilisierungseinsatz in dieses Land zu schicken. Gibt vor, dass damit die Menschen geschützt werden, die in diesem Staat unter Verfolgung leiden. Die dabei bemühte Logik besagt, dass ein Staat verantwortlich für seine Bürger sei und sie zu schützen habe. Werden deren Menschenrechte verletzt, werde er dieser Verantwortung nicht mehr gerecht und verwirke sozusagen seine Souveränität, sodass das Einmischungsverbot nicht mehr gelte. Allerdings ist dieses Konzept problematisch. Denn die sogenannte internationale Gemeinschaft interessiert sich leider nur dann für die Rechte der Menschen in unterdrückenden Staaten, wenn sie gleichzeitig ein Interesse an den Rohstoffen dieser Länder hat oder an den Transportwegen durch diese. Gibt es hingegen keine wirtschaftlichen Interessen, werden Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten gerne auch jahrzehntelang hingenommen. Die Schutzverantwortung der NATO ist also eine sehr selektive. Eine Einschränkung, die dieser allumfassende Begriff gerade nicht enthält.

Schutzwaffe
    Eine Schutzwaffe oder auch passive Waffe ist gar keine Waffe. Das verwirrt Sie? Moment, wird gleich klarer. Damit werden im sogenannten Versammlungsrecht all jene Dinge bezeichnet, die dazu taugen, sich vor der Wirkung von Waffen zu schützen: Regenhosen zum Beispiel, Zahnschienen oder eine Schutzbrille (die auch noch als Vermummung gilt). Selbst ein Fahrradhelm ist nach dieser Rechtsauffassung eine passive Waffe. Wer sich vor Gewalt schützen wolle, so die Logik des Gesetzgebers, der suche die Gewalt geradezu, ja sei selbst zu ihr bereit. Die Argumentation ähnelt auf fatale Weise der üblen Haltung, Frauen seien irgendwie mit schuld daran, wenn sie vergewaltigt würden. Schließlich hätten sie ja den Täter irgendwie zu seiner Tat gereizt. Was zeigt, dass diese Bezeichnung mitnichten ein Zufall ist, denn sie dient offensichtlich dazu, das Tragen von schützender Kleidung zu diskreditieren – oder genauer den Träger. Es handelt sich also bei der Schutzwaffe um das Gegenteil eines Euphemismus, einer Schönfärberei. Es ist ein Dysphemismus, eine Schmährede. Und bitte jetzt angesichts ihrer martialischen Helme und Schilde keine Witze über die Gewaltbereitschaft deutscher Polizisten. Denn die tragen selbstverständlich eine Schutz ausrüstung , das ist etwas völlig anderes. Oder, wie der Satiriker Georg Kreisler sang: »Jeden Tag sind wir beim Schützen frisch dabei / schützet auch die Polizei!«

Selbstverpflichtung, freiwillige
    Das freiwillig in dieser Konstruktion können wir gleich mal streichen, das ist frei erfunden. Aus eigenem Antrieb und

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