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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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so schicken Politiker nicht etwa Soldaten und Kanonen in ein fremdes Land, sondern Friedenspanzer, Verzeihung, eine Friedenstruppe. Die soll da irgendetwas stabilisieren. Wer dabei wen oder was stabilisiert und wie, lässt der robuste Stabilisierungseinsatz ganz bewusst offen. Auch der angehängte »-einsatz« gibt darauf keinen Hinweis und kommt so klein und harmlos wie möglich daher. Das Attribut »robust« ist dann geradezu eine Sauerei. Denn es bedeutet nicht etwa, dass der Krisenherd so prima stabilisiert wird, dass er noch lange funktioniert. Robust steht im Kriegsvernebelungssprech für »mit Waffengewalt«, also für die Erlaubnis, auf andere →   Konfliktparteien zu schießen. Was ironischerweise bedeutet, dass die Eingesetzten beim Stabilisieren garantiert das eine oder andere kaputt machen.

Steuersünder
    Wer Steuern nicht bezahlt, ist nach gängigem sprachlichen Verständnis ein Steuerhinterzieher und somit ein Straftäter. Doch leben wir in einer Privilegiengesellschaft, daher gibt es selbstverständlich auch hier Unterschiede. Was sich nicht zuletzt an der Sprache zeigt. Sünden waren einst eine rein kirchliche Angelegenheit und galten in diesem Zusammenhang als schweres Vergehen. Seit dem Mittelalter hat sich in Kirchendingen allerdings einiges geändert, und auch die Sünde ist nicht mehr, was sie einst war. Seit der Zeit der Aufklärung ist ihr moralisches Gewicht eher gering, und so gilt sie im alltäglichen Sprachgebrauch zwar noch immer als Verfehlung, aber nicht unbedingt als Verbrechen. Sünder nehmen wir gern wieder in unsere Mitte auf, wenn sie ein wenig Reue zeigen und ein oder zwei Vaterunser beten. Folglich ist der Steuersünder eine privilegierte Version des Hinterziehers, einer also, dem wir gern verzeihen und sogar die Strafe erlassen. Die gleiche semantische Nachsicht zeigt sich auch beim Steuerflüchtling. Für Flüchtlinge immerhin haben wir – auch wenn wir sie nicht ins Land lassen, siehe →   Flüchtlingsbekämpfung  –, ein wenig Mitleid übrig. Dass mit diesen verharmlosenden Begriffen dauernd Menschen bezeichnet werden, die dem Staat nicht nur eine Handvoll Euro schulden, sondern gleich ganze Millionen, macht die Sache nicht gerade besser. Kein Wunder, dass Steuern zu hinterziehen kaum jemandem als Straftat gilt, die alle schädigt.

Störer, potenziell gewaltbereite
    Der Störer ist so etwas ähnliches wie der Rüpel, der im Unterricht dazwischenruft. Nur eben nicht im Klassenraum, sondern auf der Straße. Denn wer die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt oder gefährdet, beispielsweise durch hartnäckiges Herumsitzen auf einer Kreuzung, kann als Störer behandelt werden. Dafür gibt es dann einen Platzverweis oder gar den sogenannten Gewahrsam, also einen Freiheitsentzug, der nicht Festnahme heißen soll, weil er nicht so lange dauern darf. So weit ist das rechtlich vergleichsweise unstrittig. Allerdings rechtfertigen Einsatzleiter der Polizei und Innenminister ein hartes Vorgehen ihrer Polizisten gern damit, es hätten sich haufenweise potenziell gewaltbereite Störer bei einer Demonstration herumgetrieben. Und zeigen so, dass dieser Begriff genau das ist: eine Rechtfertigung. Denn das Substantiv Störer ist wie viele Substantive auf -er ein Nomen agentis, also ein Substantiv, das einen Handelnden bezeichnet. Dazu passt das Adjektiv gewaltbereit nicht, denn wer nur bereit ist, hat eine Handlung, hier die Gewaltanwendung, ja noch gar nicht durchgeführt und ist mithin als unschuldig zu betrachten. Die einzige mögliche Bedeutung des Ausdrucks gewaltbereiter Störer besteht also darin anzunehmen, dass zunächst nur eine gewaltlose Störung vorliegt, der Störer aber auch anders handeln könnte. Die adverbiale Modifizierung potenziell weist jedoch daraufhin, dass diese Bereitschaft nur als Möglichkeit besteht, also gar nicht real ist. Das ist nicht falsch, immerhin ist jeder Mensch potenziell zu Gewalt bereit, aber es ist eben deswegen Unsinn. Wer den Ausdruck gebraucht, tappt damit in eine Abschwächungsfalle. Denn die übertriebene Potenzierung legt nahe, dass die potenziell gewaltbereiten Störer wohl eher friedliche und höchstwahrscheinlich unschuldige Menschen sind, siehe auch →   Gefährder, potenzielle . Gleichzeitig kann der Ausdruck – angewandt auf friedliche Demonstrationsteilnehmer – dazu dienen, diese zu schmähen. Dann handelt es sich um einen pejorativen, also verunglimpfenden Dysphemismus.

Störerhaftung
    Wer ist schuld? Das

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