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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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persönlich nicht gekannt und hat nicht selbst, sondern durch Tristan um ihre Hand anhalten lassen. Zudem wollte er ohnehin nur aufgrund der Staatsräson wieder heiraten. Auf des Königs vorwurfsvolle, bohrende Fragen antwortet Tristan mitleidig: »O König, das kann ich dir nicht sagen, und was du frägst, das kannst du nie erfahren.« So nimmt die Tragödie ihren Lauf.
    Auch im dritten Akt erscheint König Marke als tragische, harmoniesüchtige Figur. Er eilt sogar an das Todeslager von Tristan, um ihm zu verzeihen. Inzwischen weiß er nämlich, dass Tristan gar nicht schuld ist, sondern der Liebestrank. Darum nannte Adorno den König Marke gehässig »Urvater des Appeasement«, also Urvater alles Beschwichtigens. Doch, bitte schön, solche Leute muss es auch geben. Wie sagt Paul Valery so treffend. »Die Welt hat zwar nur durch die Extreme Wert, aber nur durch das Mittelmaß Bestand.«

Richard gegen Richard oder der Orpheus allen heimlichen Elends
    Ist die Musik von Richard Strauss wahr-
haftiger als die von Richard Wagner?
     
    Keine Frage: Der Sound, den Richard Strauss produzierte, klingt gut. Nur wenige Komponisten instrumentieren so märchenhaft und bezaubernd wie er. Er kann das Orchester sowohl still und ruhig atmen lassen als auch glänzend triumphieren. Womöglich war die Instrumentationsfähigkeit das größte Talent, das Richard Strauss als Komponist besaß.
    Es fällt auf, dass all seine Symphonischen Dichtungen  – Macbeth, Don Quixote, Till Eulenspiegel, Don Juan, Tod und Verklärung – ausschließlich um männliche Helden kreisen, seine Opern dagegen huldigen den Frauen. Strauss liebte die weibliche Stimme, mit Tenören konnte er nichts anfangen. Schon ein flüchtiger Blick auf die Titel bestätigt dies: Salome, Elektra, Frau ohne Schatten, Die ägyptische Helena, Ariadne auf Naxos, Daphne, Die schweigsame Frau . Selbst im Capriccio und im Rosenkavalier stehen weibliche Helden im Mittelpunkt.
     
    Nun mag das Werk von Richard Strauss gewisse klangliche Ähnlichkeiten zu dem Werk von Richard Wagner aufweisen, vermutlich durch ähnliche Stilmittel der Instrumentierung. Dennoch kann Strauss mit dem Seelenkenner Wagner nicht mithalten. Am meisten
erkannt hat diese Unterlegenheit übrigens Strauss selbst: »Mit dem Wagner kann ich nicht konkurrieren. Ich habe nur einen Umweg um Wagners Riesenwerke gemacht, er ist natürlich der weitaus Größere.«
    Wagners Oper Tannhäuser wird von zwei Frauenfiguren dominiert, einerseits von der heiligen Elisabeth, andererseits von der Venus auf dem Venusberg. Wäre Wagner nicht so ein großer Künstler, wie er es meiner Ansicht nach war, dann wäre ihm nicht gelungen, die heilige Elisabeth facettenreicher und liebenswerter zu gestalten als die Venus.
    Während die Venus vor allem das Prinzip der Sinnlichkeit verkörpert – Wagner nannte sie spöttisch eine »Kulissenvenus« –, lässt er Elisabeth zunächst ganz naiv auftreten. In ihrer Arie zu Beginn des zweiten Aktes glaubt sie, nur Tannhäusers Kunst zu vergöttern. Sie merkt gar nicht, dass sie nicht so sehr die Musik liebt, sondern vor allem den Sänger. Die Quintessenz des zweiten Aktes mit dem Sängerkrieg auf der Wartburg besteht nun darin, dass Wagner es schafft, ungewöhnlich viel Sympathie für die Heilige zu wecken. Normalerweise erscheinen ja die Bösen immer viel interessanter als die Guten, man denke nur an Goethes Faust, dessen Titelheld weit entfernt von der Faszinationskraft des ironischen Mephisto agiert. Nicht so bei Wagner.
     
    Von Friedrich Nietzsche, der Wagner ebenso hasste wie liebte, stammt der Satz: »Dieser Wagner war doch der Orpheus allen heimlichen Elends.« Zu diesem
Elend gehört auch, dass das alljährliche Schaulaufen in Bayreuth gerne mit einem nicht enden wollenden Woodstockfestival verglichen wird. Natürlich gibt es Premieren mit politischer Prominenz, rotem Teppich und Blitzlichtgewitter. Wie oft habe ich den armen Franz Josef Strauß gesehen. Der hatte mit Wagner nichts am Hut, aber als bayerischer Ministerpräsident musste er in der Loge sitzen, wo er regelmäßig einschlief, und zwar vom ersten bis zum letzten Takt.
    Ich finde trotzdem gut, dass man sich in Bayreuth viel mehr um die Opern kümmert als beispielsweise in Salzburg, wo man nach einer kurzen bis mittellangen Festivalaufführung meistens sofort in den »Goldenen Hirsch« zum Essen einkehrt. In Bayreuth trifft man enorm viele Ausländer, vor allem Franzosen und Engländer, oft bewaffnet mit dem Libretto

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