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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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applaudierten heftig. Das Gespenst hinter mir explodierte förmlich – und ich erkannte: Das war Marlene Dietrich! Ich wusste natürlich, was sie alles gegen Deutschland hatte und warum. Nun aber saß sie in Paris, Herbert von Karajan dirigierte das Deutscheste, was es gibt, das Vorspiel zu den Meistersingern – und Marlene Dietrich geriet völlig außer sich. Das werde ich nie vergessen.

Kunst oder Kitsch?
    Der Rosenkavalier wird von manchen
Opernfreunden als »Zuckerwasser-
komposition« belächelt. Ist das Stück
wirklich so leichte Kost?
     
    Offenbar hat die Tatsache, dass Richard Strauss’ Rosenkavalier zur vermeintlich erfolgreichsten Oper des 20. Jahrhunderts wurde, viele Antigefühle geweckt. Theodor W. Adorno zum Beispiel sprach vom »Sacharin« des Rosenkavaliers. Thomas Mann fasste seinen Ärger in die Worte: »Vier Stunden Getöse um einen simplen Scherz.« Beide haben meiner Ansicht nach unrecht. Bereits die Gestalt der »Feldmarschallin« Maria Theresia Fürstin Werdenberg macht den Rosenkavalier unsterblich. Das ist keine alte Dame, sondern eine Frau in der Blüte ihrer Jahre, Mitte, Ende dreißig. Sie ist verliebt, versprüht Charme und hat eine österreichische Souveränität sondergleichen. Der Librettist Hugo von Hofmannsthal hat mit dieser Figur eine Art Ideal-Habsburg respektive Ideal-Wien entworfen, woran sich manche Leute stören.
    Natürlich ist es ein Anachronismus, wenn Walzer aus dem 19. Jahrhundert in einem Stück erklingen, dessen Handlung zur Zeit von Kaiserin Maria Theresia spielt. Seltsam wirkt auch die silberne Rose, die der Braut vor der Hochzeit gereicht wird: Es wird so getan, als ob das ein alter Brauch sei. In Wahrheit aber handelt es sich um eine Erfindung von Hofmannsthal.
Doch gerade weil alles so zart und so differenziert daherkommt, ist der Text wunderschön. Man denke nur an den Moment, in dem die Marschallin zu ihrem jungen Liebhaber Oktavian, der sich gerade über sie beschwert hat, sagt: »Philosophier’ Er nicht, Herr Schatz und komme Er her, jetzt wird gefrühstückt, jedes Ding hat seine Zeit.« Oder zu Sophie, seiner jungen Geliebten, die nervös ist und herumplappert, meint sie kühl: »Red Sie nur nicht zu viel, Sie ist ja hübsch genug.« Solche Dialoge machen den Zauber und die Poesie des Textes aus.
    Problematisch als Figur finde ich den Ochs von Lerchenau. Das ist ein rüpelhafter, bäuerlicher Aristokrat. Er wird oft als charakterkomische Figur gegeben: halb Bösewicht, halb Ulknudel. Das macht ihn ein bisschen langweilig. Gewiss, er ist ein wilder Kerl, hat keine Manieren und denkt immer nur an sich. Aber er kann, wenn’s sein muss, auch aus der Mythologie zitieren, er ist gescheit und trägt durchaus Züge eines Edelmanns. Diese Widersprüche werden leider oft nicht herausgearbeitet, und dann wirken der zweite und der dritte Akt ein wenig albern.
    Einmal habe ich aber erlebt, dass die Figur des Ochs gerettet wurde – nicht durch einen besonders guten Sänger, obwohl Walter Berry sehr gut war, sondern durch einen besonders guten Dirigenten. Leonard Bernstein hat bei seiner Wiener Aufführung 1971 – Christa Ludwig sang die Marschallin ganz wunderbar  – das musikalische Thema des Ochs von Lerchenau so tiefsinnig und tragisch zu dirigieren gewusst,
dass ich das Gefühl hatte, die Musik sei sogar gewaltiger als der Text. Freunde von Hofmannsthals Kunst bedauern regelmäßig, dass dieser differenzierte Text von Strauss effektbewusst übertönt wird. Und ja, Strauss wusste nur zu gut, Effekte zu setzen. Unter dem Dirigat von Leonard Bernstein zeigte sich aber auch, welcher Tiefsinn in der Partitur steckt. Und so konnte man durchaus das Gefühl gewinnen, dass die Erfindungskraft des Komponisten dem Feinsinn des Librettisten nicht nur ebenbürtig ist, sondern teilweise sogar überlegen.
     
    Wenn all das zusammentrifft: die Schönheiten des Textes, der Reichtum der Musik und die Kühnheit der Interpretation, dann erklingt eine künstlerisch wertvolle Oper.

Auweia: »Wagalaweia ...«
    Hat Richard Wagner für seine Opern
grässliche Texte verfasst?
     
    Treffen sich zwei Musiker in Bayreuth. Sagt der eine: »Geigst du die Geige, giftiger Gauch?« Antwortet der andere: »Nein, ich schabe das Cello, schäbiger Schuft.« Wahrlich, es ist nicht schwer, sich über Operntexte lustig zu machen. Aber schon Thomas Mann fand es absurd, Wagners Dichtkunst anzuzweifeln. Mir geht es ebenso. Richard Wagner hat etwa im Parsifal die Rolle der Kundry so klug,

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