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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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Gefühlsverstärker
wünscht sich niemand zurück. Jedoch wäre es schön, wenn man auch in friedlichen Zeiten den Musikern und dem Publikum bisweilen nicht allzu deutlich anmerken würde, dass sie während eines Konzertes vor allem die Frage beschäftigt, in welches Restaurant sie danach gehen wollen.
     
    Eine Nachbemerkung sei noch gestattet, um wieder zu Furtwängler und seiner Kunst zurückzukehren: Wer sich für ihn wirklich interessiert, dem rate ich, sich mit seinen Brahms- und Beethoven-Interpretationen auseinanderzusetzen. Die Große C-Dur-Symphonie von Schubert darf sich ohnehin nicht entgehen lassen, wer gute, großartige Musik liebt.

Tempolimit für Tasten-Raser
    Keiner spielt Beethovens Hammerklavier-
sonate so perfekt wie der britische
Pianist Paul Lewis. Warum nur kennt ihn
kaum jemand?
     
    Zufällig gehörte ich der Jury an, die dem Liverpooler Pianisten Paul Lewis in Italien vor einigen Jahren einen Preis zusprach. So unbekannt ist er also gar nicht. Als Dank für die Ehrung spielte er Beethovens Hammerklaviersonate. Ich fand Lewis’ Interpretation schön und einleuchtend, hatte aber das Gefühl, den Einfluss seines Lehrers Alfred Brendel herauszuhören, was wahrlich keine Schande sein muss.
    Diese sehr spezielle Sonate gilt nach Umfang und Anlage als Beethovens schwierigstes Klavierwerk. Insbesondere das Adagio, ihr Herzstück, geht weit über das hinaus, was auf dem Gebiet der Sonatenkomposition jemals gewagt und bewältigt wurde. Beethoven, bereits weitgehend ertaubt, hat hier mit aberwitziger Klugheit einen einzigartigen Klangkosmos geschaffen, weshalb ich dieses Stück zusammen mit der Neunten Symphonie, den späten Streichquartetten und den Diabelli-Variationen zu seinen »titanischen Werken« zählen würde.
     
    Da ist zunächst der Kopfsatz, ein Allegro, dann folgen ein Scherzo als zweiter Satz, ein Adagio sostenuto als dritter Satz und eine große Fuge als Finale. Kennzeichen
aller Sätze sind die Terz und der harmonische Gegensatz zwischen B-Dur und h-Moll. Nun gibt es Konzertgänger, die das Adagio sostenuto so langsam wie möglich gespielt haben wollen. Ich gestehe, dass auch ich zu dieser Fraktion gehöre. Immer wieder erstaunt bin ich allerdings darüber, wie unterschiedlich die Hammerklaviersonate interpretiert wird.
    Friedrich Gulda zum Beispiel brauchte für das Adagio dreizehn Minuten und vierzig Sekunden. Solomon hingegen benötigte vierundzwanzig Minuten. Der eine Pianist spielt es fast doppelt so langsam wie der andere. Unglaublich, oder? Wilhelm Kempff brauchte ungefähr siebzehn, Claudio Arrau mehr als zwanzig Minuten. Wie lässt sich das erklären? Beethovens längster langsamer Satz, ein »ausgehaltenes« Adagio, soll »appassionato e con molto sentimento«, also »leidenschaftlich und mit viel Ausdruckskraft« gespielt werden. Durch diese vom Komponisten geforderte Leidenschaft nähert sich der Satz einer tragischen Ballade. So kommt Bewegung in das Adagio.
    Ein Blick auf die Metronomzahlen, die Beethoven bei der Hammerklaviersonate vorgegeben hat, bestätigt diese Auffassung: Er setzte die Achtelnote gleich 96, das bedeutet, dass in einer Minute sechsundneunzig Achtelnoten gespielt werden sollen. Er wünschte das Tempo also gar nicht so langsam, wie Solomon es darbot. Den kontrapunktischen Stil und den spannungsvollen Widerspruch in der Hammerklaviersonate muss ein guter Interpret herausarbeiten können. Zu schnell darf es nicht sein, zu langsam aber auch nicht.
    Jetzt bin ich ganz und gar abgekommen von Paul Lewis. Aber ich spreche doch einfach am liebsten über die Musik selbst.

Das Leuchten der Tragödin
    Warum werden alle großen Sängerinnen
an Maria Callas gemessen?
     
    Na ja, nicht alle. Kein Musikexperte käme auf die Idee, die Altistin und wunderbare Liedsängerin Christa Ludwig an Maria Callas zu messen. Singt aber Anna Netrebko La Traviata oder Edita Gruberova die Lucia di Lammermoor, dann kommt einem schon die Callas in den Sinn.
    Das hat mit dem Älterwerden zu tun. Als älterer Mensch hat man einen Erfahrungsvorsprung. Da fällt es leichter, Vergleiche anzustellen und die Qualität eines Künstlers zu beurteilen. Ich habe Maria Callas noch auf der Bühne erlebt. Die griechische Sopranistin sorgte in den 1960er und 1970er Jahren für viele Skandale, ständig begegnete man ihrem Bild in einer Illustrierten oder Tageszeitung. Als ich sie das erste Mal sah, war ich verblüfft über ihr attraktives Aussehen. Ihre Gesichtszüge wirkten viel feiner und

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