Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
Vom Netzwerk:
ausdrucksstärker als auf den Fotos, die ich von ihr kannte. Ihre Schönheit leuchtete von innen heraus.
     
    Maria Callas war eine Sängerin mit einer außerordentlichen Musikalität, sie konnte hohe Koloraturen singen und zugleich enorm in die Tiefe gehen. Ihr Stimmumfang reichte vom tiefen Fis in Verdis Sizilianische Vesper bis zum f 3 in Rossinis Armida. Darüber hinaus war sie eine Tragödin, ähnlich fulminant wie Eleonora
Duse, Gertrud Eysoldt oder Joana Maria Gorvin. Ich habe Maria Callas auch als Norma in Bellinis gleichnamiger Oper in Paris gesehen, gegen Ende ihrer Karriere. Eine Szene hat sich besonders in mein Gedächtnis eingegraben, jene, in der die junge Adalgisa berichtet, dass sie einen Römer liebt. In diesem Moment realisiert Norma, dass auch sie einmal einen Römer liebte und sogar zwei Kinder von ihm bekommen hat. Wie die Callas diese Gefühlsaufwallung darstellte, das war mitreißend. In einer anderen Szene geriet sie in Verzweiflung, fast in Panik, und lief wie ein aufgeschrecktes Tier unruhig im Kreis. Sie war eine Opernsängerin mit einer enormen Darstellungskraft und bewegte alle. So eine Intensität und Bühnenpräsenz habe ich nie wieder erlebt. Als ihre Stimmperfektion nachließ und sie plötzlich einen hohen Ton nicht mehr ganz sicher traf, stöhnten die Leute im Publikum leise auf. Sie litten mit ihr.
    Seien wir froh, dass die Sternstunden ihrer Karriere allesamt aufgezeichnet worden sind. Herbert von Karajan hat in den 1950er Jahren Donizettis Belcanto-Oper Lucia di Lammermoor mit der Callas einstudiert. Berühmt ist auch Luchino Viscontis Mailänder Inszenierung von La Traviata, sie inspirierte die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu einem enthusiastischen Aufsatz. Eine weitere Paraderolle war die Carmen. Georges Bizets Titelheldin macht, was sie will. Sie ist nicht zu zähmen, fürchtet weder Prügel noch Gegner. Maria Callas formt aus dieser freiheitsliebenden, temperamentvollen Figur nicht nur einen vollendeten
musikalischen, sondern auch einen großen stimmdarstellerischen Moment und eine betörend faszinierende Frau.
    Jeder Vergleich mit der Callas bleibt schwierig. Die »Primadonna assoluta« war einzigartig.

Meister des Finales
    Warum hat es Joseph Haydn im
Konzertbetrieb so schwer?
     
    Um es gleich klar und deutlich auszusprechen: Joseph Haydn war ein außergewöhnlicher Komponist. Er hat die für die Musikgeschichte so wichtige Sonatenform für Symphonien und Sonaten etabliert und das Streichquartett begründet, auch wenn das alles erst später von Mozart und Beethoven vollendet wurde. Außerdem hat Haydn großartige Oratorien verfasst. Wer je in einem Chor gesungen oder in einem Orchester gespielt hat, weiß Die Schöpfung oder Die Jahreszeiten zu schätzen. Und auch die Streichquartette von opus 20, 33 bis hin zu den späten Werken sind zu Recht sehr berühmt geworden.
     
    Haydn hat es zu Zeiten der bürgerlichen Kultur – mit all den Pianoforte spielenden Damen und Herren – sicherlich geschadet, dass er dem Klavier nicht hinreichend verfallen war. Seine Klavierkonzerte wirken denn auch etwas rätsellos. Robert Schumann verspottete Haydn als einen »netten, alten Onkel«, der für seine Zeitgenossen eigentlich keine Bedeutung mehr habe. In der Tat klingt Haydns geniale Musik manchmal sehr vernünftig. Sie hat etwas Voltairehaftes in ihrer Aufgeklärtheit, man könnte auch sagen Abgeklärtheit. Bisweilen fehlt ihr die wunderbare, verhaltene Depressivität, der man bei Mozart immer wieder begegnet.
    Dafür war Haydn ein Meister des raschen Schlusses. Seine witzigen, pointierten Finali – in Symphonien wie auch in zahlreichen Quartetten und Sonaten  – sind auf ihre Weise unschlagbar. Auch sein virtuoses Cellokonzert gilt unter Cellisten als Standardwerk. Und die Londoner Symphonien werden ebenfalls regelmäßig aufgeführt.
     
    Man kann also nicht wirklich sagen, dass es Haydn im Konzertbetrieb schwer hat. Er hat im Laufe seines Lebens einfach so viel komponiert, dass er irgendwann selbst nicht mehr die Zahl und Bedeutung seiner Werke übersah. Und natürlich findet sich in seinen Kompositionen auch Belangloses. Das ist normal bei einem schaffensreichen Genie.

Moll im Diesseits
    Angenommen, Franz Schubert, der schon
mit 31 Jahren verstarb, wäre eine längere
Schaffenszeit gegönnt gewesen –
haben wir den eigentlichen Höhepunkt
seiner Kunst verpasst?
     
    Auch mich fasziniert der transzendentale, jenseitige Charakter von Franz Schuberts letzten

Weitere Kostenlose Bücher