Spring in den Himmel
sie seit Jahren nicht mehr gemacht.«
Yoyo grinste sie an. »Ich habe manchmal etwas sehr Überzeugendes, wusstest du das nicht?«
Jamina antwortete nicht. Es nagte an ihr, dass ihre Eltern dem fast fremden Mädchen den kleinen Bruder anvertrauten.
Du erzählst gar nicht, wie's mit Alexander war. Hey, du wirst ja rot! Sieht hübsch aus, echt. Hat dir das schon mal jemand gesagt? Nein, du musst nichts erzählen. Aber ich hab das Gefühl, dass du glücklich bist. Und das macht mich froh. Wirklich.
Wenn ich da an die Zeit bei Onkel und Tante denke … Der blanke Horror, sag ich dir. Schläge und Drohungen und der alte fette Sack hat mich ständig angemacht … Manche Leute haben einfach immer Pech. Und bisher hab ich auch dazu gehört. Aber damit ist jetzt Schluss. Seit ich dich kenne.
14. Kapitel
Jamina hockte auf ihrem Bett, die Beine angezogen, und schrieb Tagebuch. Es war nun Sonntagnachmittag, Yoyo war gegangen und das Zimmer gehörte wieder ihr, ihr ganz allein. Dennoch sah es anders aus. Da lag noch die Matratze, auf der sie und nicht Yoyo geschlafen hatte. An der Wand hing ein Plakat. Früher war dort ein Tierposter gewesen, sie hatte es vor einigen Wochen abgenommen, weil ihr der Pinguin zu kindlich erschienen war. Der helle weiße Fleck an der Wand hatte sie jeden Tag daran erinnert, dass sie hier wieder etwas aufhängen wollte, sie wusste nur noch nicht, was. Jetzt hatte Yoyo das für sie getan, zusammen mit Rafik.
Jamina sah sich das Bild der Sängerin Amy Winehouse an. Eine stark geschminkte, junge Frau, sie wirkte unangepasst und verletzlich, schwierig und faszinierend. Ein bisschen sah sie aus wie Yoyo selbst. Kein Wunder, dass die ihre Musik so toll fand.
Für einen kurzen Moment vermisste sie Yoyo. Komisch … Konnte sie wirklich froh sein, wieder ihre Ruhe zu haben, und zugleich den Menschen vermissen, der diesen Wirbel veranstaltet hatte? Offenbar ging das. So wie sie auch Yoyo glauben konnte, was sie erzählte … und jetzt schlichen sich doch wieder Zweifel ein. Der Vater, die Villa, die WG, die tote Mutter … stimmte dasalles? Wie war das mit ihrer symphonischen Wahrheit gewesen? Das bedeutete doch, dass es nicht eine einzige Wahrheit gab, sondern dass sie sich aus verschiedenen Stimmen zusammensetzte. Wie bei Yoyo auch. Sie hatte viel erzählt an diesem Wochenende und sie hatte sich benommen, als wäre sie hier zu Hause.
Diese Selbstverständlichkeit, mit der sie am Samstagabend ans Telefon gegangen war und den Eltern gesagt hatte, sie könnten ruhig noch länger wegbleiben. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Hörer an Jamina weiterzugeben, sondern hatte mit ihrer Mutter geredet, als würden sie sich schon lange kennen.
Mit derselben Lockerheit hatte sie sich einen Pullover von Jamina aus dem Schrank genommen, ohne zu fragen. Das schönste Teil, das sie besaß. Richtig teuer. Und er stand Yoyo auch noch richtig gut.
Als Yoyo dann Rafik ins Bett bringen wollte, als wäre sie die große Schwester, war Jamina dazwischengegangen. »Das mache ich.« Es hatte kalt geklungen, das hatte sie selbst gemerkt.
Als Jamina aus Rafiks Zimmer zurückkam, hatte Yoyo ihre Sachen zusammengepackt. Sie wollte gehen. Fühlte sich auf einmal wie eine Fremde, hatte sie gesagt. Was sie eigentlich auch war, dachte Jamina.
Sie hatte den Abend eigentlich ohne Yoyo geplant, ein bisschen Gitarre üben und lesen wollen. Aber wie sie da stand, so konnte sie die Freundin nicht gehen lassen.
»Bleib da«, hatte sie Yoyo gebeten und gemeinsam hatten sie es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht, bis die Eltern nach Hause kamen.
Jamina legte ihr Tagebuch weg, sie wollte jetzt nicht weiter grübeln und schreiben. Sie nahm die Gitarre, zupfte die Saiten an, sie fuhr mit dem Daumen über alle sechs Saiten, probierte Akkorde aus. So hatte Yoyo gestern Nacht dagesessen, als sie vom Zähneputzen ins Zimmer gekommen war. Auf ihrem Bett, in ihrem Pullover, mit Alexanders Gitarre im Arm.
Sie scherte sich nicht darum, dass es fast Mitternacht war und die Nachbarn vielleicht gestört werden könnten. Jetzt wollte sie Musik machen, jetzt machte sie auch Musik. Zuerst hatte Yoyo sie gar nicht bemerkt, so vertieft war sie in die Musik. Sie zupfte einzelne Akkorde, dann begann sie zu singen. Mit einer sehr leisen, weichen, hellen Stimme. Sie konnte sonst so laut sein, so scharf klingen, aber hier sang ein Mädchen ein romantisches Lied. Und sie spielte ziemlich gut Gitarre.
Jamina hatte sich zu ihr gesetzt und
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