Spring in den Himmel
der schöne Moment war vorbei, es half nichts.
Alexander machte seine Tasche auf und zog ein abgenutztes großes Heft heraus.
»Meine erste Gitarrenschule«, sagte er und lächelte schief. »Wenn du willst, gehen wir die Seiten gemeinsam durch.«
Jamina nickte nur. Alexander spielte vor, Jamina versuchte, es nachzumachen. Es dauerte fast eine Stunde, bis sie wieder ungezwungen miteinander umgehen konnten.
»Mal stört der Opa …«, brummte Alexander.
»… mal der kleine Bruder«, ergänzte Jamina.
»Wir haben es wirklich schwer.«
Sie sahen sich an und lachten. Dann nahmen sie sich in den Arm und küssten sich.
»Meinst du, deine Eltern erlauben, dass du mal mit zu mir kommst?«, fragte Alexander.
»Warum nicht?«
Er sah sie verlegen an.
»Jetzt fang du nicht auch noch an mit diesen Vorurteilen gegenüber Muslimen.«
»Sind es denn Vorurteile?«
»Hey, mein Dad bringt dich nicht um, nur weil du mein Freund bist.«
»Da bin ich aber froh.«
Als Alexander gegangen war, starrte Jamina lange auf die Mail. Sollte sie die lesen oder nicht? Was hinderte sie daran?
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Rafik steckte seine Nase herein.
»Bist du noch böse?«
Ja, sie war noch sauer. Deshalb antwortete sie nicht gleich.
»Dann komm ich später wieder.« Rafik wollte schon die Tür schließen.
»Wenn du noch einmal in mein Zimmer kommst, ohne zu klopfen … Und dann noch deine verdammt blöden Fragen …«
Rafik war den Tränen nahe. »Sonst bist du nie so gemein!«
»Verdammt noch mal, manchmal will ich eben meine Ruhe haben und allein sein.«
»Du warst doch gar nicht allein!«
Gegen Rafiks Logik kam sie nicht an.
Eine SMS von Sophia.
Was sagst du jetzt?
Minuten vergingen, eine zweite Nachricht.
Triffst du dich mit ihr?
Es hatte keinen Sinn, die Sache auszusitzen. Jamina griff nach der Mail.
Hey Sophia, ich bin Pink. Ich hab deine Frage gelesen und melde mich, weil mir was Ähnliches passiert ist wie deiner Freundin. Ich hab auf der Straße ein Mädchen kennengelernt, voll der Freak, aber wir haben uns gleich gut verstanden. Hat mit mir irre Sachen gemacht. Wildwasserkajak. Nachts ins Freibad, über den Zaun und so was. Die erste Zeit war total toll. Aber dann wurde sie irgendwie komisch. Meldete sich ewig nicht. Fand michdoof, kritisierte an mir rum, machte mich klein. Lachte mit anderen über mich. Fing an zu streiten, haute ab. Kam wieder, entschuldigte sich, blieb bei mir über Nacht. Alle fanden sie voll okay, sogar meine Eltern. Nur ich hatte irgendwann das Gefühl: Die übernimmt mein Leben. Klingt total psycho, ich weiß. Deshalb konnte ich es auch niemandem erzählen. Und weil sie alle so super fanden … Wahrscheinlich hätten alle gedacht, ich hab 'ne Macke und nicht sie. Weil zu den anderen war sie auch nett, nur bei mir ging das immer auf und ab. Beste Freundin, blöde Kuh, mal war sie da, mal abgetaucht. Sie hat mir alle meine Freundschaften kaputt gemacht. Und manchmal hatte ich das Gefühl, meine Eltern mochten sie lieber als mich, ich war irgendwie total draußen aus meinem Leben und sie war drin. Hey, ich hoffe, bei deiner Freundin ist es nicht so schlimm wie bei mir. Weil … das ist jetzt schon fast ein Jahr her und ich bin immer noch total fertig, wenn ich dran denke.
Jamina ließ das Blatt sinken. Was diese Pink schrieb, war echt psycho.
Trotzdem: Manches war vergleichbar. Mal war sie da, mal abgetaucht. Ja, das kannte Jamina gut. Fing an zu streiten, haute ab. Kam wieder, entschuldigte sich. Yoyo war ähnlich, das stimmte. Und dass sie ganz selbstverständlich in ihr Leben eingetaucht war … Aber nein, Yoyo hatte es nicht übernommen. Es war immer noch ihr Leben.
Jamina setzte sich aufs Bett, zog die Beine an undumfasste sie mit beiden Armen. Sie stützte das Kinn auf ein Knie und starrte vor sich hin. Nein, das war nicht Yoyo. Ihre Freundin war nicht so. Und sie selbst war nicht so dumm, sich ihre Familie und ihr Leben wegnehmen zu lassen. Vielleicht stimmte die Mail auch gar nicht, war nur ein Fake. Von einem Mädchen, das sich wichtig machen wollte. Oder von Sophia.
Wer war hier psycho? Diese Pink, Yoyo, Sophia oder sie selbst? Wer manipulierte wen, wer hatte wen angelogen und wem konnte sie überhaupt noch vertrauen außer Alexander?
20. Kapitel
Sie stand so plötzlich vor der Schule wie sie Tage zuvor verschwunden war. Verändert, im neuen Style. Sie war blond und nicht mehr so flippig gekleidet. Helle Klamotten, eine ordentliche Umhängetasche, aber dasselbe
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