Spring in den Himmel
unterdrückter Schmerzlaut.
»Ist alles in Ordnung, Herr Kamke?«
Keine Antwort. Sie machte sich Sorgen.
»Herr Kamke? Was ist passiert?«
Er öffnete die Tür, trug Pyjama und Bademantel.
»Ich bin über den Rollator gestolpert.«
»Haben Sie sich wehgetan?«
»Eigentlich sollte das blöde Ding mir helfen, dass ich nicht falle. Stattdessen …« Er gab einen ärgerlichen Laut von sich und winkte ab.
»Sind Sie auch krank?«
Jamina sah besorgt auf seine Kleidung.
»Wieso auch?«
»Weil Alexander erkältet ist.«
»Deshalb taucht er hier nicht mehr auf!«
»Hat er Ihnen nicht gesagt, dass er im Moment nicht kommen kann?«
Herr Kamke überlegte, dann grinste er schief. »Vielleicht doch und ich hab's nur vergessen.«
Er sah sie prüfend an. Sie senkte die Augen, wollte nicht, dass er ihre Traurigkeit bemerkte.
»Ich bin ein alter Knacker, ich leg mich hin, wenn mir nicht gut ist. Aber wenn ich ein junger Kerl wäre, da würde ich zu dir kommen, selbst mit vierzig Grad Fieber und auf Krücken, bloß damit ich dich sehen kann.«
Jamina lächelte. Es war wohl als Kompliment gemeint. Aber es machte nur deutlich, dass sie für Alexander nicht so wichtig war.
Jamina stand schon vor der Tür zur eigenen Wohnung, da machte sie noch einmal kehrt. Sie wollte nicht allein zu Hause sein. Die Meerschweinchen fiepen hören. Das Poster von Amy Winehouse an der Wand. Die Gitarre, die sie zum Üben einlud. Die Noten, die Alexander dagelassen, das Lied, das Yoyo ihr aufgeschrieben hatte.
Rafik würde nachher wieder fragen. Und ihr vorwerfen, dass sie Yoyo vertrieben hatte.
Dass die in ihren Sachen gewühlt, ihr etwas weggenommen, sie mit Vorwürfen überschüttet hatte, dasalles konnte Rafik nicht wissen und es würde ihn auch nicht interessieren. Und wenn sie ganz ehrlich war, dann war sie sogar froh, dass Yoyo nicht auftauchte. Denn die kannte ihr größtes Geheimnis – und Jamina war nicht sicher, ob sie es für sich behalten würde.
Sie verließ das Haus, aber wusste nicht, wohin. Erinnerungen wurden wach an die Zeit, als Alexander noch hier wohnte. Gemeinsam spielen, verstecken, einkaufen, zur Schule gehen …
Sie kehrte zum Spielplatz zurück, setzte sich wieder, wartete, dass die Zeit verstrich. Immer mehr Väter, Mütter und Kinder packten ihre Sachen ein und gingen nach Hause. Es wurde etwas kühler, aber noch lange nicht dunkel. Vor ihr lagen zwei Wochen Ferien – und sie hatte keine Ahnung, wie sie die verbringen würde. Noch vor ein paar Tagen hatte sie sich diese freie Zeit so lebendig vorgestellt, mit Alexander, mit Yoyo … Jetzt saß sie hier, allein – und wusste nicht einmal, warum.
Als sie nach Hause kam, probierte Rafik im Flur gerade seine neuen Klamotten an.
»Die Hose ist zu lang!«
»Wir krempeln sie hoch«, hörte sie ihre Mutter aus der Küche rufen.
»Das ist uncool!«
»Du wächst so schnell, Rafik. Und wir können dir nicht …«
Die Mutter verstummte. Jamina lächelte den kleinen Bruder an.
»Die Hose ist super.«
Er reagierte gar nicht auf sie, sondern lief in Richtung Küche.
»Mama, du musst sie abschneiden. Krempeln ist oberpeinlich.«
Er sah zu seiner Mutter, die am Küchentisch stand, auf dem ein offener Umschlag mit einer Menge Geld lag. Sie las einen Brief und hörte ihn gar nicht.
Als Jamina eintrat, wandte sich die Mutter ihr zu.
»Ich glaube, du musst uns was erklären …«
25. Kapitel
»Ich will aber nicht schlafen!«
Mit Sicherheit spürte Rafik die unheimliche Spannung in der Luft. Er wollte dabei sein und erfahren, worum es ging.
»Es ist schon acht Uhr, du gehst ins Bett!« Die Stimme der Mutter war unerwartet scharf, Rafik zuckte zusammen.
»Es sind Ferien«, schob er kleinlaut nach.
»Wir haben etwas zu besprechen.« Der Vater bemühte sich um einen begütigenden Ton.
»Immer redet ihr über die wichtigen Sachen ohne mich!«
Die Mutter sah aus, als würde sie gleich explodieren. Der Vater legte die Hand auf ihren Arm. Sie atmete tief durch.
Jamina wünschte sich, Rafik würde dieses Theater noch ewig durchhalten. Sie hatte Angst vor dem, was ihr bevorstand. Es war die Stunde der Wahrheit. Sie würde ihren Eltern etwas erklären müssen. Sie hätte viel früher mit ihnen reden sollen. Stand sie jetzt nicht da wie eine Diebin? Auch wenn sie es nicht war. Aber Verschweigen war nicht viel besser als Lügen. Würden sie ihr überhaupt noch glauben?
Der Vater stand auf und nahm Rafik auf den Arm.
»Komm, Großer, du gehst jetzt ins Bett. Und ich
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