Spring in den Himmel
schrieb er zurück, er habe Fieber. Aber er würde sich in den nächsten Tagen melden.
Jamina starrte auf den weißen Fleck an der Wand, wo das Poster gehangen hatte. Die Wand sah so leer aus. Und genau so fühlte sie sich auch. Schmutziges, leeres Weiß mit einem grauen Rand drumrum.
26. Kapitel
Diese vorwurfsvollen Blicke beim Frühstück. Dieses Schweigen der Eltern. Und der traurige Blick von Rafik, weil Yoyo nicht mehr kam. Dazu eine SMS von Alexander, dass er noch krank sei, dass er sie nicht treffen könne.
Das sollten Ferien sein? Es war die Hölle. Jamina kam sich vor, als wäre sie ganz allein auf der Welt. Selbst Yoyo fehlte ihr, obwohl Jamina sie nicht sehen wollte. Nur wenige Wochen hatte sie gedauert, diese Freundschaft, so schnell hatte sie Vertrauen gefasst zu diesem schrägen Mädchen, das ihr Leben bunter, schillernder, fröhlicher, faszinierender, abenteuerlicher gemacht hatte. Jetzt war sie wieder abgetaucht. Vielleicht für immer. Denn nach der Geschichte mit dem Geld würde Yoyo sich wohl nicht mehr in ihre Nähe wagen. Obwohl … ganz klar war das nicht. Yoyo war immer für eine Überraschung gut.
Sophia war noch mit ihren Eltern und Schwestern in Spanien. Merlin schickte eine Mail, dass er erst die zweite Ferienwoche wegfahren werde – falls Jamina also Zeit und Lust habe, so könnten sie sich treffen. Jamina hatte jede Menge Zeit, aber keine Lust, sich Merlins Flirtversuche anzutun.Am Anfang fühlte es sich an wie Traurigkeit. Doch je länger Jamina in sich hineinhörte, desto mehr merkte sie, dass in ihr eine unbändige Wut gärte. Diese Wut galt Yoyo. Dem Mädchen, das alles über sie wusste, in ihrem Leben Schicksal gespielt und dabei so wenig von sich preisgegeben hatte.
Es dauerte vier Tage, dann war Jamina klar: Sie wollte Yoyo nicht einfach so davonkommen lassen. Sie würde sie suchen und zur Rede stellen. Irgendwo musste sie ja stecken.
Jamina ging in Gedanken all die Orte durch, an denen sie mit Yoyo gewesen war. Der U-Bahnhof Münchner Freiheit, vor ihrer Schule, im Café, im Englischen Garten … Moment. Der Eisbach. Der Eisverkäufer. Genau, Federico! Er hatte Yoyo schon gekannt, bevor sie mit Jamina dort aufgetaucht war. Sie war öfter dort gewesen, sie hatte ihn mit ihrem Tick, dass jede Kugel Eis eine eigene Waffel brauchte, geärgert. Dort würde sie Yoyo vielleicht treffen. Oder Federico konnte ihr weiterhelfen.
Jamina erledigte noch schnell die Einkäufe für ihre Familie und für Herrn Kamke. Auch er hatte die vergangenen Tage nichts von seinem Enkel gehört.
»Ich glaube, er ist wirklich schlimm dran«, sagte er zu Jamina. »Denn dass er mich alten Knochen nicht so oft besucht, das kann ich ja verstehen. Aber dich würde er doch auf keinen Fall einen Tag allein lassen. Dazu ist das Risiko viel zu groß, dass ein anderer sein Glück bei dir versucht.«
Dabei zwinkerte er. Jamina bemühte sich um ein freundliches Lächeln.
»Hat Ihnen Alexanders Mutter denn gesagt, wie ernst es ist?«
»Kann mich nicht erinnern. Soll ich nachfragen?«
Jamina nickte nur dankbar, da schien Herr Kamke einen Einfall zu haben.
»Warum rufst du nicht selber an? Alexander freut sich bestimmt.«
Jamina wünschte, sie wäre da so sicher wie Herr Kamke. Seine SMS erzählten von Fieber, nicht aber von Sehnsucht oder gar einem Treffen.
»Jetzt geh schon«, drängte Herr Kamke. »Du hast Ferien und das Wetter ist dermaßen schön, da solltest du deine Zeit nicht mit einem alten Mann verplempern.«
Dann drückte er Jamina zwanzig Euro in die Hand: »Kauf dir was Nettes.«
Jamina legte zu Hause das Geld auf den Küchentisch.
»Von Herrn Kamke«, schrieb sie. »Ich bin in der Stadt und um sechs Uhr wieder da.«
Mit dem Rad fuhr Jamina in Richtung Eisbach. Eine schöne Strecke durch den Englischen Garten. Viele Menschen waren unterwegs, genossen die Sonne. Sie saßen im Gras, hielten die Füße ins Wasser, manche hatten sich ausgezogen und bräunten sich. Hunde rannten herum, sie musste aufpassen, dass ihr keiner vors Rad lief. Einige junge Typen spielten Ball, andere Frisbee. Jamina kam es so vor, als wäre sie der einzige Mensch, der alleine war. Sie stellte ihr Rad ab und beobachtete Studenten, die mit Büchern im Gras saßen und etwas diskutierten. Die es sich gut gehen ließen, ihren Schreibtisch einfach ins Freie verlegthatten. War es denn ein Verbrechen, wenn sie auch studieren wollte? Sie war eine gute Schülerin. Sie wollte auch hier sitzen und lernen, sich mit den anderen
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