Spür die Angst
oftmals abgehört, falls sie überhaupt zugelassen wurden. Bei Briefen wurden Stichproben genommen. E-Mail-Verkehr gab es in der Anstalt nicht.
Er beobachtete das Haus. Wartete, ohne zu wissen, auf was.
Starrte auf das flache Dach. Sein Blick blieb am Schnee hängen.
Er überlegte: Wie kann ich Steven erreichen? An Infos zum Heroinschmuggel über die Balkanroute kommen? Das war sicheres Terrain, denn Jorge hatte selbst noch nie etwas damit zu tun gehabt. Also kein Risiko für ihn oder seine Freunde.
Das Ganze wurde zu einer fixen Idee. Eine manisch verfolgte Zielsetzung mit Rado/Mrado als Beute.
Manchmal erblickte er jemanden auf dem Grundstück. Nicht zuletzt R persönlich, der nach Hause kam. Eine Frau mit einem Mädchen im Alter von ungefähr sieben Jahren kam jeden Abend gegen sechs Uhr nach Hause. Die beiden waren offensichtlich R’s Frau und Tochter. Kamen von der Schule und der Arbeit. Allerdings niemals allein. Immer gemeinsam mit einem kräftig gebauten Mann mit osteuropäischem Aussehen – offenbar ein Handlanger in der Jugohierarchie. Später erfuhr Jorge, wer er war – er hieß Stefanovic, persönlicher Leibwächter und Mordmaschine der Familie Radovan Kranjic.
Die Frau fuhr ein Saab Cabriolet.
Radovan fuhr einen Lexus SUV .
Glückliche Familie.
Als Jorge die siebenjährige Tochter sah, musste er an das Foto von Paola denken, das Mrado ihm im Wald gezeigt hatte. Sie hatten ein fieses Spiel gespielt. Aber Jorge konnte auch fies sein. Der Siebenjährigen etwas antun. Und dennoch: Das war ihm zuwider. Das Mädchen war unschuldig. Außerdem erschien ihm die Sache zu gefährlich.
Das Haus schwer bewacht. Jedes Mal, wenn sich jemand näherte, wurde der Weg zur Eingangstür automatisch von Scheinwerfern erleuchtet. Manchmal, wenn Stefanovic zu Hause war, kam er und öffnete Radovan die Tür. Er wurde also von einer Art Alarmsystem vorgewarnt, sobald jemand sich dem Haus näherte.
Jorge verwarf den Gedanken, dass sein Warten vor der Villa irgendetwas bewirken könnte. Es schien zum Scheitern verurteilt.
Vier Tage später: eine andere Idee. Er rief noch einmal in Österåker an. Fragte nach Steven. Fragte, wofür genau er verurteilt worden war. Fragte, wann er verurteilt wurde. Von welchem Gericht.
Dankte Schweden für das Prinzip der Öffentlichkeit oder wie auch immer es heißen mochte. Jorge rief beim Stockholmer Amtsgericht an. Fragte nach dem Urteil von Steven Jonsson und bat darum, es zugeschickt zu bekommen. Kein Problem – sie fragten nicht mal, wie er hieß.
Einen Tag später in Fahdis Briefkasten: ein Gerichtsurteil. Amtsgericht Stockholm. Drogendelikt, besonders schwerer Fall. Sechs Kilo Kokain. Direkt aus Kroatien importiert. Die Angeklagten waren Steven Jonsson, Ilja Randic, Darko Kusovic. Steven hatte sechs Jahre bekommen. Ilja auch sechs. Darko zwei Jahre. Letztgenannter musste inzwischen wieder draußen sein.
Es war nicht schwer, Darko zu erreichen. Seine Handynummer erfuhr er von der Auskunft 118 118 .
Jorge rief ihn an.
»Hallo, ich heiße Jorge. Bin ein alter Kumpel von Steven aus Österåker. Ist es okay, wenn ich dir ein paar Fragen stelle?«
Darkos Stimme klang reserviert. »Und wer zum Teufel bist du?«
»Immer mit der Ruhe. Ich hab mit Steven zusammen gesessen. Im selben Korridor. Würd dich gern treffen, wenn du Zeit hast.«
Jorge machte einen auf nett. Versuchte, sich einzuschmeicheln. Erzählte ein paar Storys von Steven aus dem Knast. Machte Darko klar, dass er tatsächlich in der Zelle neben ihm gehockt hatte. Jorge kicherte. Gab sich naiv.
Das funktionierte immer.
Schließlich entgegnete Darko: »Ist schon okay. Ich bin allerdings sauber. Hab jetzt ’n Vollzeitjob, Überholung von alten Saab-Modellen. Wir können uns gern treffen, aber nur unter einer Bedingung: Ich will auf keinen Fall in irgendeinen Scheiß reingezogen werden. Kapiert? Damit bin ich durch. Kann dir zwar erzählen, was ich und Steven gemacht haben, aber auf meine Weise. Und nicht anders. Bin inzwischen anständig.«
Jorge dachte:
Yeah right,
total anständig.
Sie vereinbarten einen Treffpunkt.
Vier Tage später fand das Treffen mit Darko statt. Fünf heiße Riesen brannten in seiner Tasche. Große Teile seiner Einkünfte bei Abdulkarim flossen in das Hassprojekt: ein nährender und ein zehrender Teil.
Sie trafen sich in einem Café auf der Kungsgata. Hinter dem Tresen Blaubeermuffins und hundertfünfzig Kaffeesorten. Der Laden voll mit Leuten um die vierzig und jungen Frauen im
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