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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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englische Vokabel gelernt –
Pakis.
JW dachte: Bester Abdulkarim, bitte sieh ein, dass es nicht angebracht ist, dieses Wort jetzt auszusprechen.
    Draußen nahm die ländliche Gegend frühlingshafte Formen an. Eine leicht hügelige, fruchtbare Landschaft mit Bauernhöfen und Feldern, aus denen die erste Saat spross. Unterhalb der Straße wanden sich ruhig dahinfließende Flüsse durch das zarte Grün.
    Englische Idylle.
    Der Frühling hatte begonnen. Verglichen mit Stockholm, war die Luft geradezu angenehm warm.
    Abdulkarim war müde und döste mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt vor sich hin. Fahdi und JW werteten das Nachtleben aus und wechselten kurze Kommentare.
    »Hast du eigentlich mal was mit ’ner Stripperin gehabt?«
    JW dachte an die Pornos, die ständig zu Hause bei Fahdi im Fernsehen liefen.
    »Nee, du?«
    »Glaubst du, ich bin gay, oder was? Na klar, hab ich.«
    »Hier in England, oder wo?«
    »Nein, verdammt. Hier sind sie zu teuer. Das Pfund hat einfach zu viel Speed.«
    JW lachte. »Du könntest doch selbst locker für’n Speedfreak durchgehen.«
    Er dachte über ihre Beziehung nach. Äußerlich betrachtet war sie rein professionell, verbunden mit ein wenig lockerem Smalltalk. Doch JW spürte: Fahdi war eigentlich ein warmherziger Mensch. Er kritisierte oder verurteilte niemanden, verhöhnte keinen. War eher anspruchslos. Ihm genügten zwei Dinge im Leben – Bodybuilding und hin und wieder ein guter Fick. Das Drogenbusiness betrieb er vermutlich nur, weil ihn aus irgendeinem Grund etwas mit Abdulkarim verband, und nicht weil er den Kick, die Knete oder gar Macht suchte.
    Der Taxichauffeur begann zu reden. Erwähnte Stratford-upon-Avon und Shakespeare. JW schaute hinaus und sah ein Ortsschild mit dem Zusatz:
the home of William Shakespeare.
    Sie fuhren durch die Vororte Birminghams. Villenviertel mit gepflegten Gärten. Dicht nebeneinanderliegende Wohnblocks mit parallel gezogenen Wäscheleinen in schmalen Hinterhöfen. Nach JW s Auffassung spiegelten die Industriegebiete am besten das typisch englische Ambiente wider.
    Sie kamen in die Stadt. Die Häuser waren niedriger als in London, ansonsten aber recht ähnlich – rote Backsteinhäuser, schmale Einfamilienhäuser mit Vortreppe und rechteckigen Fenstern, Starbucks, McDonald’s, Buchläden, Halal-Lokale. Keine Bäume und keine Fahrräder.
    Das Taxi hielt auf einer Brücke vor dem Bahnhof. Unter der Brücke fuhr ein Zug mit hoher Geschwindigkeit hindurch. Der Lärm war ohrenbetäubend.
    Sie stiegen aus. Bezahlten den Fahrer und ließen sich seine Nummer geben. Verabredeten, dass sie ihn in vier Stunden anrufen würden, wenn sie einen Wagen bräuchten, um zurück nach London zu gelangen.
    Sie gingen die Treppe runter in den Bahnhofsbereich.
    Der Treffpunkt sollte laut Abmachung vor dem Zeitungs- und Buchladen in der Bahnhofshalle sein.
    Sie hatten keine Probleme herauszufinden, welche Personen dort auf sie warteten – zwei breitschultrige Männer in dunklen Lederjacken, schwarzen Jeans und robusten Lederstiefeln standen steifbeinig vor dem Laden. Trugen sie etwa Uniformen? Beide sahen typisch englisch aus, aschblondes Haar, fahle Haut. Der eine trug einen gerade geschnittenen, glatt herunterhängenden Pony, JW fand, dass er wie Caesar aussah. Der andere mit perfekt gezogenem Seitenscheitel.
    Abdulkarim ging direkt auf sie zu und stellte sich in seinem Einwandererenglisch mit schwedischem Akzent vor.
    Kein Erstaunen. Kein Lächeln.
    Sie folgten den Männern zu einem Minibus. Wurden aufgefordert, auf der Rückbank Platz zu nehmen, und stiegen ein.
    Der Mann mit dem Seitenscheitel – nach JW s Auffassung: rechtsextremistische, leicht verbissene Ausstrahlung – fragte, wie die Fahrt gewesen sei. JW dachte: der Aussprache nach zu urteilen, ganz klar Engländer.
    Abdulkarim unterhielt sich eine Weile mit ihm. Als sie sich den Industriegebieten näherten, nahm der Rechtsextremist drei Stoffstreifen zur Hand und bat Abdulkarim, JW und Fahdi, sie sich selbst vor die Augen zu binden. Dann forderte er sie auf, sich auf den Boden des Minibusses zu hocken.
    Sie taten, was er sagte.
    Lagen blind und stumm auf dem Boden.
    Die Engländer stellten Musik an, laut.
    JW s Gefühlslage: Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er richtige Angst. Wen würden sie da eigentlich treffen? Wohin wurden sie gebracht? Was würde geschehen, wenn Abdulkarim ausflippte? Das Ganze kam ihm in der Realität weitaus existentieller und gefährlicher vor als zu dem Zeitpunkt,

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