Spür die Angst
das halbe Sorgerecht hast, da rufst du an und stellst alle möglichen Forderungen.«
»Ja, aber die Forderungen stell ich zu Lovisas Schutz. Zu deinem übrigens auch.«
»Ich weiß. Das ist ja das Schlimme. Dass wir ständig in deinen Mist mit reingezogen werden.«
»Aber jetzt geht’s um Lovisa, Annika. Tut mir leid, dass es so gekommen ist.«
Das Gespräch drehte sich im Kreis. Mrado in einer Lose-Lose-Situation. Wenn er Lovisa nicht in Sicherheit brachte, konnte er das Risiko eines Angriffs auf Radovan nicht eingehen. Sein Leben würde am Rande des Abgrunds enden. Wenn er Lovisa hingegen schützte, würde er sie kaum noch sehen können – seine Lebensqualität würde sich dramatisch verschlechtern.
Annika meckerte weiter über Mrados Unzulänglichkeiten. Normalerweise hätte er längst den Hörer aufgeknallt. Heute allerdings nicht. Seine letzte Chance – zu verhandeln.
»Annika, bitte. Hör mir nur eine Sekunde zu. Lass mich ausreden. Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Ich bin auch sauer. Aber ausnahmsweise ist das mal nicht meine Schuld. Es sind andere Leute, die mich und euch bedrohen. Die Situation ist aus dem Ruder gelaufen. Lovisa muss in Sicherheit gebracht werden. In zwei Monaten sind Sommerferien. Ich möchte, dass ihr den ganzen Sommer weder in Gröndal seid, noch euch im Hort sehen lasst. Ich komm gern für die Kosten für ein Ferienhaus oder eine Reise ins Ausland auf. Das ist okay für mich. Und nach dem Sommer müsst ihr die Adresse und die Schule wechseln.«
»Du gehst zu weit. Ich hab dazu schon zehnmal nein gesagt.«
»Hör mir zu Ende zu. Wenn du auf meinen Vorschlag eingehst, ihr müsst ja nicht weit von Gröndal wegziehen, nur so weit, dass sie auf eine andere Schule gehen kann, dann verzichte ich auf das Sorgerecht und das Besuchsrecht.«
Annika verstummte.
Er wartete auf eine Reaktion. Rieb an einem Kakaofleck auf dem Sofa herum, den Lovisa beim letzten Mal, als sie da war, hinterlassen hatte.
»Du verzichtest ganz auf das Besuchsrecht?«
»Ja. Du könntest ja so nett sein, mich sie ab und zu trotzdem sehen zu lassen.«
»Nur, wenn ich dabei bin.«
»Das können wir dann besprechen. Wie willst du es mit dem Sommer machen? Kümmerst du dich um ein Ferienhaus? Eine Reise? Wie gesagt, ich bezahle.«
»Und wann treffen wir uns mit unseren Rechtsanwälten, um das schriftlich zu fixieren?«
»Wann du willst.«
Sie diskutierten noch weitere fünf Minuten. Verabredeten, sich in der kommenden Woche bei ihren Rechtsanwälten zu treffen. Annika würde sich nach einem Ferienhaus umsehen.
Seine Gefühle nach dem Telefonat waren widersprüchlich. Anfänglich war er froh. Wäre Lovisa erst in Sicherheit, könnte er die Attacke gegen Radovan forcieren. Doch dann spürte er den Druck. Wie oft würde er Lovisa treffen können? Es war wichtig, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, was ihn letztlich zum Mann gemacht hatte: seine Würde – keiner trat Mrado mit Füßen.
Wenn Radovan erst aus dem Spiel war, würde alles gut werden.
Zwei Stunden nach dem Telefonat mit Annika traf er sich mit Nenad.
Sie setzten sich ins Kelly’s in der Folkungagata. Es war acht Uhr. Die Kneipe schon voll mit überwinterten Hardrockern und White-Trash-Figuren. Das Besondere an dem Lokal: das Starkbier und die Dartspiele. Laut und aggressiv. Mrado mochte das Kelly’s.
An erster Stelle der Agenda stand die große Koksladung. Die zwei wichtigsten Fragen: Wie würden sie die Ladung kapern, und wie würden sie sie verkaufen? Nenad war immerhin raus aus dem Kokain, abserviert von Radovan. Abdulkarim war der neue Stern am Himmel.
Der Araber hatte keine Ahnung von Nenads falscher Loyalität. Der Typ würde alles tun, um bei Rado einen Stein im Brett zu haben. Selbst wenn Nenad ihm einen Teil des Kuchens anbot. Schlussfolgerung: Es war das Beste, den Araber rauszuhalten.
Die Lösung hieß JW .
Anstelle von Abdulkarim konnten sie JW parallele Verkaufskanäle erschließen lassen. Und die Vororte? Abdul hatte noch andere Leute. JW kannte die meisten. Einige Latinos, Araber, Schweden. Nenad hatte den Überblick über die neue Verkaufsstrategie, den Deal mit gewöhnlichen Leuten. An Rekrutierungsmöglichkeiten fehlte es auch nicht, da Mrado Beziehungen zu Mitgliedern der OG hatte, die eventuell mitspielten. Das Kontaktnetz hatte sich seit dem Job mit der Marktaufteilung exponentiell erweitert. Er würde mit den Leuten reden.
Eine andere Frage, die sie diskutierten: Mrados Videotheken, die den Bach
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