Spürst du den Todeshauch: Thriller (German Edition)
unterzeichnen sollte, damit Gus Schmidts Leichnam freigegeben werden konnte.
22
L ottie Schmidt wälzte sich die ganze Nacht hin und her und döste erst in den frühen Morgenstunden ein. Als sie das letzte Mal auf die Uhr sah, war es 4.05 Uhr, genau die Zeit, zu der Gus erst am Tag zuvor aufgebrochen war. Gus, sonst kein Mann übermäßiger Gefühlsäußerungen, hatte sich über sie gebeugt und ihr zum Abschied einen Kuss gegeben. Hatte er etwa geahnt, dass er nicht mehr zurückkehren würde?
Das ging ihr als Letztes durch den Kopf, bevor sie endlich eindämmerte. Geweckt wurde sie später durch Geräusche aus dem Badezimmer. Einen hoffnungsvollen Augenblick glaubte sie, Gus wäre wieder da, dann begriff sie, dass natürlich Gretchen unter der Dusche stand, die am Vortag aus Minneapolis eingetroffen war.
Mit einem Seufzen richtete sich Lottie auf. Sie griff nach ihrem zehn Jahre alten Morgenmantel und schlüpfte in ihre Pantoffeln. Der Morgenmantel war ein Weihnachtsgeschenk von Gus, das er bei Victoria’s Secret gekauft hatte. Beim Anblick des Pakets, erinnerte sich Lottie, hatte sie gehofft, dass Gus nicht unnütz Geld für irgendeinen fadenscheinigen Fummel ausgegeben hätte, den sie sowieso nie anziehen würde. Aber dann hatte sie einen in Geschenkpapier eingeschlagenen hübschen, blau gemusterten Morgenmantel aus Seide mit flauschig-warmem Innenfutter vorgefunden. Den man sogar waschen konnte.
Solche Morgenmäntel wurden gar nicht mehr hergestellt, und sobald es draußen kalt wurde, holte sie ihn aus dem Schrank, um ihn morgens überzuziehen. Sie und Gus waren Frühaufsteher, es wurde bei ihnen morgens nie später als halb acht, wobei Gus meistens schon vor ihr auf gewesen war und den Kaffee gekocht hatte, bis sie nach unten kam.
Und er hatte schon die Zeitungen reingeholt, sodass einem stillen Frühstück, bei dem sie in die neuesten Nachrichten vertieft waren, nichts entgegenstand. Lottie las immer zuerst die Post , Gus die News . Beide tranken sie Orangensaft zu ihrem Müsli, in das sie zusätzlich eine Banane schnitten, weil das laut dem Doktor die beste Art war, den Tag zu beginnen.
Heute allerdings würde kein Kaffee auf sie warten. Und sie würde selbst ans Ende der Einfahrt gehen und die Zeitungen holen müssen. Der Zusteller wollte sie nicht vor der Seitentür ablegen, weil er dann mit dem Wagen rückwärts auf die Straße zurückstoßen müsste.
Das Wasser in der Dusche lief immer noch, als Lottie am Badezimmer vorbeiging. Gus hätte bei Gretchens Wasserverbrauch einen Anfall bekommen, dachte sie. Jede Verschwendung war ihm ein Gräuel.
Auf dem Weg zur Treppe machte sie sich erneut Sorgen, dass Gretchen versucht sein könnte, den Trauergästen Bilder ihres teuren Hauses in Minnesota zu zeigen. Wer uns kennt, wird sich fragen, wie sich Gretchen so was leisten kann. Sie hat jahrelang für eine Telefongesellschaft gearbeitet und sich nach der Scheidung ihrer kinderlosen Ehe zur Masseurin ausbilden lassen. Und zu einer guten, wie Lottie pflichtschuldig dachte. Sie verdient zwar nicht viel, hat aber einen netten Freundeskreis. Sie ist in der presbyterianischen Kirche aktiv. Aber sie denkt nicht nach, sondern plappert einfach drauflos. Sie muss nur erzählen …
Lottie wollte sich jetzt nicht damit befassen. Sie ging in die Küche, setzte den Kaffee auf und öffnete die Tür.
Wenigstens regnete es nicht. Sie ging die Einfahrt hinauf, bückte sich vorsichtig, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hob die drei Zeitungen auf, die Post , die News und den Long Island Daily , und trug sie ins Haus.
Drinnen wickelte sie die Zeitungen aus der Schutzhülle und schlug sie auf. Bei allen dreien war auf der Titelseite ein Foto des Brands abgedruckt. Mit zitternden Fingern schlug sie die Seite drei der Post auf. Dort fand sie ein Bild von Gus, dazu die Überschrift: BRANDOPFER – UNZUFRIEDENER EXMITARBEITER VON CONNELLYS STILMÖBEL-MANUFAKTUR.
23
J essicas Vater Steve Carlson hatte mit einundzwanzig die New Yorker Polizeiakademie absolviert und war in den darauffolgenden Jahren stetig aufgestiegen, bis er als Captain in den Ruhestand gegangen war. Er hatte seine Highschool-Freundin Annie geheiratet, und als sich abzeichnete, dass aus der geplanten großen Familie nichts werden würde, hatte er den einzigen Nachwuchs, der ihnen beschieden war, Jessica, zu seiner Begleiterin bei Sportveranstaltungen auserkoren.
So nah sich er und Annie waren, seiner Frau war die Lektüre eines Buches allemal lieber als
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