Spuk im Hotel
den Teller vor ihm ab. »Nicht anfassen, sehr heiß.«
»Wenn Sie erlauben, meine jungen Freunde«, sagte Garfield, ohne aufzusehen. Er griff sich Messer und Gabel, aß mit großem Appetit und entwickelte kauend seine Theorie.
»Sie müssen wissen«, begann er und schnitt den Rand seiner Pizza ab, »ich finde alles faszinierend, was mit Psychologie zu tun hat.«
Justus warf Lys einen verzweifelten Blick zu. Er hatte sich auf den Abend mit ihr gefreut. Und nun dieser Aufschneider, der einem so auf die Nerven ging mit seinem ständigen »Sie müssen wissen«.
»Das Seelische ist sozusagen mein Steckenpferd. Oder besser gesagt: meine Leidenschaft.« Vergnügt sah Garfield die beiden über seine Brillengläser hinweg an. Er hatte die typische Miene eines Menschen aufgesetzt, der denkt, die anderen müssen sich glücklich schätzen, ihn getroffen zu haben.
Justus fühlte, dass sich in seinem Magen etwas zu drehen begann. Im Hotel der grässliche Peter, der seine Rolle so schamlos ausnutzte, und hier dieser Garfield, der im ›Old Star‹ eigentlich bisher einen ganz vernünftigen Eindruck gemacht hatte. So kann man sich täuschen, dachte Justus und schob den Teller mit der halb aufgegessenen Pizza zur Seite. Der Appetit war ihm vergangen. Er fing einen mitleidigen Blick von Lys auf. Bestimmt dachte sie dasselbe wie er.
»Ich schätze Amanda Black sehr«, dozierte Garfield weiter. »Aber ich glaube, sie ist jetzt in einem kritischen Alter. Der Ruhm ist verblasst, der Alltag frisst sie auf – was liegt da näher, als ein wenig auf sich aufmerksam zu machen? Aber womit kann sie das? Früher, ja, früher, da hätte sie irgendeinen Skandal gemacht, und die Presse hätte sich um sie gerissen. Aber heute? Wer fragt danach, wie es Amanda Black geht? Wer nimmt sie überhaupt wahr, außerhalb des Hotels? Niemand!« Während er sich langsam in Fahrt redete, stach er mit seinem Messer immer heftiger Löcher in die Luft. »Und genau hier ist der Schlüssel zur Lösung des Falls. Amanda Black hat diese Vorgänge selbst inszeniert. Alles selbst auf die Seite geschafft und dann wieder herbeigezaubert. Kino! Alles Kino! Schlechtes Drehbuch, aber immerhin. Alles dreht sich um sie. Die Gäste zerbrechen sich den Kopf, das Personal denkt an nichts anderes mehr, sie selbst reagiert mit Migräne auf all diese selbst erzeugte Aufregung.«
Garfield hielt inne, um die andächtige Stille zu genießen, die derart scharfsinnige Enthüllungen bei seinen jungen Zuhörern unweigerlich auslösen mussten.
Lys stand auf, kramte aus ihrer Handtasche das Geld für das Essen, warf es auf den Tisch und sagte: »Komm, Justus, lass uns gehen. Bevor mir schlecht wird.«
Anschlag auf Mr. Simpson
Es war eine Stunde vor Mitternacht, als Justus mit dem letzten Bus zum Hotel zurückkehrte. In einem anderen kleinen Lokal war es dann doch noch ein netter Abend geworden. Jedenfalls nachdem sich beide ihren Ärger über diesen eingebildeten Angeber Garfield von der Seele geredet hatten.
Schon am Eingang zum Park beschlich ihn ein sonderbares Gefühl. Das ›Old Star‹ lag friedlich in der Dämmerung dieser lauen Sommernacht. Trotzdem kam es Justus so vor, als ob in merkwürdig vielen Zimmern noch Licht brannte.
Der Erste, dem Justus unten in der Empfangshalle begegnete, war Tim Green. Der kleine Kerl steckte in einem Schlafanzug, hatte den unvermeidlichen Teelöffel in der Hand, mit dem er im Takt auf den Boden schlug, und rief dazu unentwegt: »Mischter Schimpschon hat Ärger! Mischter Schimpschon hat Ärger!«
Als Nächstes traf Justus auf Mrs. Silverstone. Sie schien ihn kaum zu bemerken, als er an ihr vorbei die Treppe hinauf in den ersten Stock stürmte.
Vor Zimmer 174 hatte sich eine Traube von Menschen versammelt. Peter war dabei, die Greens, das Ehepaar Hartford und Georgette, die Köchin. Auch dieses stille Ehepaar Hunter mit zwei Kindern, das erst vor wenigen Tagen gekommen war und am übernächsten Tag wieder abreisen wollte.
»Zwei Nächte bleibe ich hier nicht mehr!«, rief Mr. Hunter, als Justus an ihm vorüberkam. »Das ist ja grässlich! Gleich morgen reisen wir wieder ab!«
Justus betrat das Zimmer und erstarrte. Nichts war mehr da, wo es hingehörte. Das Bett war umgestürzt, seine Beine ragten kläglich in die Luft. Die Vorhänge waren heruntergerissen und lagen wie die Fahnen eines geschlagenen Heers traurig am Boden. Umgestürzt hatten die ungebetenen Besucher auch den Kleiderschrank. Wahllos verstreut, zierte sein Inhalt den
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