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Spur ins Eis

Spur ins Eis

Titel: Spur ins Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Blizzard konnte sie den See nicht mehr erkennen, und sie fragte sich, wo wohl die Spuren ihres Vaters hinführen mochten. An das Schlimmste wollte sie erst gar nicht denken. Stattdessen schloss sie die Augen und versuchte sich Ajo, ihren Geburtsort in der Wüste von Arizona, vorzustellen – die knochentrockene Luft, die Hitze, die von den Asphaltstraßen aufstieg, die Wüste bei Sonnenuntergang, die warmen Nächte, die schönen Kakteen. Schnee wollte sie nie wieder sehen, nicht einmal an Weihnachten.

42
    Als sie die Augen öffnete, waren die Wölfe verschwunden. Sie war eingedöst, das Gesicht flach an den Baumstamm gepresst. Die Rinde hatte ihre Wange zerkratzt, und ihr Gesicht war von der Kälte ganz taub. Sie spürte den Druck auf ihren Lungen und dachte : Ich sollte bei diesem Wetter nicht draußen sein. Ich könnte ein Lungenentzündung bekommen. Der Schnee fiel sogar noch dichter als vorhin, aber jetzt konnte sie wenigstens etwas sehen.
    Es war heller geworden. Die Muskeln in ihrem Arm schmerzten, weil sie den Baumstamm so fest umklammert hielt.
    Langsam kletterte Devlin herunter, und als ihre Stiefel schließlich den Boden berührten, versank sie bis zu den Knien im Pulverschnee. Sie ging zum Waldrand und blickte auf den See. Es war schrecklich still. Die Spuren ihres Vaters waren unter der frischen Schneeschicht verschwunden. Aber sie hätte ihnen jetzt sowieso nicht folgen können, weil sie dann schutzlos den Wölfen ausgeliefert gewesen wäre. Sie blieb besser zwischen den Bäumen.
    Devlin ging am Waldrand, parallel zum See, entlang. Immer häufiger musste sie husten. Alle paar Minuten blieb sie stehen, um zu lauschen, ob die Wölfe ihr folgten oder ihr Vater sie vielleicht rief. Oft dachte sie, sie hätte ihn gehört, aber es war immer nur der Wind.
    Eine Stunde lang ging sie so. Die offene Fläche zwischen dem Wald und dem See wurde immer kleiner. Mittlerweile war es schon richtig hell geworden, und es schneite immer noch. Anscheinend hatte sie ein Loch im Stiefel, denn ihre Füße waren nass, und sie spürte ihre Zehen nicht mehr. Sie hatte Hunger und Durst, und mit jeder Minute nahmen ihre Angst und Unsicherheit zu.
    Gerade überlegte Devlin, ob sie nicht besser umdrehte und versuchte, den Weg zum Zelt zurück zu finden, als plötzlich ein riesiges Gebäude vor ihr stand. Einen Moment lang vergaß sie die Schmerzen in ihren Beinen und ihrer Lunge. Sie hatte so etwas schon einmal gesehen, und es dauerte ein bisschen, bis sie sich erinnerte, wo es gewesen war, aber dann fiel es ihr ein. Im Sommer nach dem Verschwinden ihrer Mutter war sie mit ihrem Vater an den Crater Lake gefahren, und die Lodge, die sie dort gesehen hatte, hatte so ähnlich ausgesehen wie dieses Gebäude.
    Es war ein großer vierstöckiger Turm mit je einem dreistöckigen Nord- und Südflügel. Hinter einigen Fenstern schimmerte Kerzenlicht.
    Sie stellte sich unter eine massive Schwarzfichte und überlegte. Sie meinte sich zu erinnern, dass der Pilot sie morgen Nachmittag wieder abholen wollte. Wenn sie an die Wölfe und den Schneesturm dachte, fiel ihr die Entscheidung leicht. Ich schaue es mir einfach an. Wenn ich hier draußen bleibe, sterbe ich. Außerdem sind Dad und Kalyn vielleicht da drin.
    Sie verließ den Schutz des Waldes nur ungern, aber da der Schneefall sowieso die Sicht behinderte, war es wahrscheinlich egal.
    Der Schnee reichte ihr mittlerweile bis zu den Oberschenkeln, und sie ging ganz dicht an den inneren See heran.
    Zwei Wasserflugzeuge ankerten am Steg. Sie waren so mit Schnee bedeckt, dass man nur ihre Pontons aus dem Wasser ragen sah.
    Vor ihr ragte die Lodge auf – eine Veranda mit geschnitzten Fichtensäulen, eine riesige Holztür, diese unheimlichen, von Kerzenschein erleuchteten Fenster, hinter denen sich Schatten bewegten.
    Vom anderen Ende des Sees her ertönte ein Heulen. Unwillkürlich dachte Devlin an die Wölfe. Es war der schrecklichste Laut, den sie jemals gehört hatte.
    Devlin trat auf die Lodge zu, ging jedoch nicht zur Veranda, sondern erst einmal zum Südflügel. Das Erdgeschoss war aus Stein gebaut, und die drei Stockwerke darüber waren aus Holz. Ab und zu rutschte ein Schneebrett vom tief hängenden Dach.
    Es roch nach Holz, als sie sich um den Kamin herum zur hinteren Seite des Südflügels vorkämpfte. Im steinernen Erdgeschoss gab es nur wenige Fenster, und sie fuhr mit der Hand über die Steine, als sie sich auf die Veranda zu bewegte, die hinten am Mittelgebäude angebaut war.
    Die

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