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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Sesseln.
    »Teetied«, erklärte er, »ist in Ostfriesland eigentlich immer. Um Mitternacht gern auch mit einem Stück Sahnetorte, nur damit Sie sich mit den Gegebenheiten schon mal vertraut machen können. Das«, er beförderte mit Hilfe einer Zange ein riesiges Stück Kandis in jede der kleinen Porzellantassen, »nennen wir Kluntje, dann erst gießt man den Tee ein«, kommentierte er sein Vorgehen. »Hören Sie nur, wie schön das knistert. Und zum Schluss ‘n Wulkje Rohm.« Mit einem Löffel gab er ein wenig Sahne an den Rand der Tasse.
    Marilene beobachtete, wie sich daraus eine bizarre Wolke bildete, und griff nach ihrem Teelöffel.
    »Nicht umrühren«, hieß Spieker sie, »das würde viel zu süß.«
    »Ach so.« Sie legte den Löffel wieder ab und trank einen winzigen Schluck. Selbst so war der Zuckergehalt grenzwertig, fand sie. »Man könnte natürlich auch kleineren Kandis verwenden, nicht?«, schlug sie vor. »Oder größere Tassen.«
    »Könnte man«, stimmte er zu, »macht man aber nicht. Und da man aus Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber mindestens drei Tassen trinkt, sollten sie eigentlich auch nicht größer sein.«
    »Ach so«, wiederholte sie.
    »Ich sehe schon, Sie werden einen Einführungskurs in hiesige Sitten und Gebräuche machen müssen, aber keine Bange, so schwierig ist das nicht. Wir sind auch ganz umgänglich, wenn wir erklären müssen, wie die Dinge hier gehandhabt werden«, spottete er. »Aber im Ernst, was bewegt Sie, von Hessen hierherzuziehen?«
    »Ich möchte ein paar Dinge hinter mir lassen und noch einmal von vorn anfangen«, erklärte sie, ihre Bedenken von gerade eben beiseiteschiebend.
    »Dinge, so, so.« Er grinste wissend.
    »Außerdem lebt mein Vater in Wiesmoor«, fügte sie hinzu, »das würde also ganz gut passen. Zu meiner Qualifikation –«, hub Marilene an.
    Spieker winkte ab. »Mich interessiert allein Ihre Zulassung. Ihr Examen dürfte sowieso eine Weile her sein, und Noten sagen meiner Erfahrung nach nicht viel aus über die Fähigkeiten eines Menschen. Nach Ihrem Anruf habe ich natürlich die Technik bemüht«, er nickte in Richtung seines Computers, »ich weiß also ein wenig über die ›Dinge‹, die Sie hinter sich lassen wollen. Durchaus nachvollziehbar.«
    Marilene spürte, wie sie errötete. »Und ich hatte so gehofft, dass das Internet in Ostfriesland noch kein Thema ist«, sagte sie. Google sei Dank war ein seltener Vorname eindeutig von Nachteil, sofern man vorzog, bestimmte Erlebnisse im Verborgenen zu belassen. Erst recht, wenn die Presseversion in entscheidenden Details von der Realität abwich.
    Spieker lachte. »So rückständig sind wir nun auch wieder nicht.« Er schenkte Tee nach und gab ihr Zeit, ihre Fassung wiederzugewinnen. »Allerdings geht es hier auch nicht so spektakulär zu wie bei Ihnen. An Strafsachen fallen hauptsächlich Körperverletzung und Verkehrsdelikte an, Vandalismus ist auch nicht so selten. Würde Sie das langweilen? Gut«, schränkte er ein, »am Samstag ist hier eine Frau zu Tode gekommen. Möglicherweise ist sie einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Aber das Mandat, so der Täter denn gefasst wird, müssten Sie ja nicht annehmen.«
    »Ich war dort«, gestand Marilene kleinlaut, »und mein Bedarf an Aufregung ist endgültig gedeckt. Ich sehne mich geradezu nach ganz alltäglichen und, vor allem, gefahrlosen Mandaten.«
    »Sind Sie denn ganz sicher, dass nicht Sie es sind, die die Gefahr anzieht?«
    »Nein, leider nicht. Es wäre schon möglich, dass ich eine Neigung habe, mich zu sehr zu engagieren, aber ich arbeite daran.«
    »Es ist nie zu spät, schlechte Angewohnheiten abzulegen«, bestärkte Spieker ernsthaft ihren Vorsatz. »Apropos, rauchen Sie?«
    Marilene nickte. Wenn das ihre Chancen zunichtemachte, sollte es so sein.
    »Fein.« Spieker sprang auf, ging an seinen Schreibtisch und holte aus einer der Schubladen Pfeife, Tabak und Aschenbecher. »Ich meine natürlich, nicht gut, sehr ungesund und so weiter, aber ein Laster braucht der Mensch, nicht wahr? Früher hat man wahl- und gnadenlos jeden geräuchert, ohne darüber nachzudenken, heute muss ich fragen. Sagt meine Frau. Na ja, sie hat schon recht.« Er stopfte bedächtig seine Pfeife, die Augen zusammengekniffen, als würde sie bereits qualmen, und warf ihr einen schrägen Blick zu. »Sie sagt, es stinkt hier. Beschwert hat sich noch niemand, und wofür gibt es schließlich Fenster.«
    »In meinem jetzigen Büro musste ich rauchen«, erklärte Marilene.

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