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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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abgelegt. Das tat er auch im Prozess nicht. Er berief sich darauf, sich so ziemlich an nichts erinnern zu können, jedenfalls nicht daran, seine Freundin über zwei Stunden geschlagen und misshandelt zu haben. Sie habe auf einmal so komisch dagelegen und nicht mehr reagiert, meinte der Angeklagte. Da habe er Panik bekommen und sei weggelaufen. Was davor geschehen sei? Keine Ahnung. Allerdings kaufte ihm das Gericht diese Version nicht ab. Dass er getrunken hatte, stand außer Frage. Das wirkte strafmildernd, begründete aber keine Schuldunfähigkeit. Das Urteil: achteinhalb Jahre Gefängnis. Bevor er die Haftstrafe antrat, musste er sich in einer geschlossenen Klinik einer Alkoholentgiftung unterziehen.

II. Wie alles anfing
    Am Anfang fühlte es sich ein bisschen falsch an, Medizin zu studieren. Lieber hätte ich meine Zeit mit Musizieren verbracht. Mein Instrument war das Saxophon. Ich spielte es, seit ich sechzehn war. Aber die Musik war mir schon davor ans Herz gewachsen, sie gehörte zu meinem Leben, seit ich denken konnte. In meiner Kindheit machten wir viel Hausmusik: Mutter sang, Vater spielte Klavier, meistens Bach oder Mozart, und ich sang mit. Ich weiß noch, wie ich immer weinte, wenn mein Vater »Das Veilchen« spielte. Der Text stammt von Goethe, Mozart hat ihn später vertont. Es geht um ein Veilchen, das eine junge Schäferin sieht, die beschwingt und singend über eine Wiese läuft. Das Veilchen wünscht sich nichts sehnlicher, als von ihr beachtet, »abgepflückt und an dem Busen matt gedrückt« zu werden – »ach nur ein Viertelstündchen lang«. Doch die Schäferin übersieht das unscheinbare Pflänzchen, tritt es achtlos platt. Als kleines Mädchen fand ich das furchtbar traurig.
    Man könnte auch sagen, mir wurde die musikalische Ader in die Wiege gelegt. Mein Vater ist Konzertmeister. Als ich geboren wurde, 1971 , spielte er die erste Violine im Orchester an der Düsseldorfer Oper. Schon als kleines Mädchen, kaum dass ich laufen konnte, durfte ich ab und zu mit zu einer Vorstellung gehen. Ich fand das jedes Mal unheimlich aufregend, fragte mich allerdings anfangs, wie er mit dem Geigespielen Geld verdiente. Ich dachte, das Geld käme direkt aus seiner Geige – er müsste nur viel spielen, dann würden wir auch genug davon haben.
    Allerdings trennten sich meine Eltern noch bevor ich vier wurde. Meine Mutter heiratete wieder, und ich war stolz, nun zwei Väter zu haben. Am liebsten hätte ich beide ständig um mich gehabt, aber das ging leider nicht. Warum es nicht ging, verstand ich damals noch nicht. Der Kontakt zu meinem leiblichen Vater ist aber nie abgebrochen. Wir stehen uns bis heute sehr nah. Und das Musikalische verbindet uns auf ganz besondere Weise.
    Mein neuer Vater war Arzt, Gynäkologe – das ist er noch. Er betreibt seit vielen Jahren eine eigene Praxis. Wir sind damals einige Male umgezogen, aber dann ließen wir uns in Lippstadt nieder. Meine Mutter und mein »zweiter« Vater stammen von dort. In der Zwischenzeit hatte ich zwei Schwestern bekommen, in Lippstadt kam dann noch mein Bruder hinzu.
    Vielleicht war es mir zu der Zeit gar nicht bewusst, aber dadurch, dass wir nun einen Mediziner in der Familie hatten, entwickelte sich irgendwann auch bei mir ein gewisses Interesse an diesem Beruf. Es wäre allerdings übertrieben, würde ich behaupten, dass ich mir von da an keinen anderen mehr vorstellen konnte. Zumal ich in der Schule mit den Naturwissenschaften auf Kriegsfuß stand. Bis auf Biologie wählte ich in der Oberstufe alle ab. Und noch heute habe ich nachts manchmal Albträume, in denen mir immer das Gleiche widerfährt: Ich sitze im Klassenzimmer, brüte über einer Klausur und bekomme Panik, weil mich die Fragen völlig überfordern. Mathe war für mich der reinste Horror, dicht gefolgt von Chemie und Physik. Alles, was ich nicht sehen, nicht anfassen konnte, weigerte sich mein Gehirn zu verstehen.
    Dagegen blühte ich geradezu auf, sobald ich ein Instrument in die Hände bekam, dem ich Töne entlocken konnte. Das faszinierte mich. Vielleicht war mein Geschmack für das Alter – und für ein Mädchen – etwas ungewöhnlich. Zuerst wollte ich unbedingt eine Trompete haben, dann wünschte ich mir ein Horn. Doch meine Eltern kauften mir weder das eine noch das andere. Stattdessen schickten sie mich zum Klavierunterricht. Das Klavier war ja schon da, und zunächst hatte ich auch ein gewisses Interesse daran. Aber es wurde immer mehr zur Qual. Warum – das

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