Spuren des Todes (German Edition)
Einladung auf seiner Karte mehr als Höflichkeitsfloskel gemeint. Jedenfalls stellte sich ziemlich schnell heraus, dass er gar nicht daran dachte, mich zu heiraten.
Es gab aber noch etwas anderes, das mich fast noch mehr ins Grübeln brachte. Hätte mich zu der Zeit jemand gefragt, was ich einmal werden möchte – ich hätte nicht lange überlegen müssen: Musikerin. Das war mein Traum. Nun war ich nicht so blauäugig anzunehmen, mit meinen Fähigkeiten könnte ich es jemals zu einer respektablen Jazzmusikerin bringen. Dafür hatte ich zu spät mit dem Saxophon angefangen. Vor allem hatte ich dafür viel zu viel Respekt vor dem, was guten Jazz ausmachte. Dieses Level würde ich niemals erreichen. Aber Rock- oder Popsaxophonistin – das konnte ich mir durchaus vorstellen.
Michael war da viel besser. Er war richtig gut. Ich orientierte mich an ihm, musikalisch. Aber ich sah eben auch, wie Michael in London wohnte: in einer kleinen Bude, die spärlich eingerichtet war, gemeinsam mit seinem Bruder. Beim Geburtstag hockten wir alle zusammen. Dicke Rauchschwaden waberten durch das enge Zimmer. Sie qualmten Selbstgedrehte, die einen eigenartigen Geruch verströmten. Ein bisschen nach frischem Holz, ein bisschen nach Kräutern, irgendwie süßlich … Ich hatte keine Ahnung, was sie da rauchten. War ich naiv damals!
Und während wir so dasaßen, sah ich mich um, beobachtete die Jungs, und irgendwann fragte ich mich: Ist das alles, was man als Musiker erreichen kann?
Etwas desillusioniert reiste ich nach Deutschland zurück. Vielleicht hatten meine Eltern doch recht. Die Vorstellung, ich könnte Musik studieren, um mein Leben anschließend als brotloser Künstler zuzubringen, wie sie es ausdrückten, muss ihnen einige schlaflose Nächte bereitet haben. Sie machten keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich wünschten, ich würde einen anderen Weg einschlagen. Es musste nicht zwangsläufig Medizin sein, obwohl es sich anbot. Ich hätte später in die Praxis meines Vaters einsteigen können. Wobei ich mich eher für Psychologie interessierte. Ich las damals viel von Sigmund Freud. »Das Ich und das Es«, »Die Traumdeutung«, »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, solche Sachen. Wahrscheinlich auch, um mich selbst besser zu verstehen. Oder um mich überhaupt erst einmal kennenzulernen. In dem Alter ist man ja noch auf der Suche, wo man eigentlich hingehört. Psychologie wäre also eine Option gewesen. Woran ich dagegen nicht den kleinsten Funken eines Gedankens verschwendete: dass aus mir eines Tages eine Rechtsmedizinerin werden könnte. Überhaupt lag alles, was irgendwie mit Blut und Operieren zu tun hatte, weit außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Obwohl die zweite Begegnung mit Michael recht ernüchternd ausgefallen war, blieben wir in Kontakt. Musikalisch konnte ich nur von ihm lernen. Michael machte dann auch seinen Weg, er spielte später für bekannte Bands wie
Jamiroquai, Brand New Heavies
und
Gorillaz
. Und jedes Mal wenn er in Deutschland tourte, meldete er sich, damit ich zum Konzert kommen konnte. Einmal war er mit dem Saxophonquartett
Itchy Fingers
unterwegs. Sie hatten einen Gig in Köln. Ich kannte die Band aus der Zeit an der Musikschule. Nicht persönlich, aber das Musikschul-Saxophonquartett hatte mir zum Geburtstag eine
Itchy Fingers
- CD geschenkt, zusammen mit der Anweisung, eines der Stücke für das Quartett rauszuhören und aufzuschreiben. Das sollte quasi mein Einstand sein. Also tat ich es. Und jetzt machte Michael bei denen mit – natürlich fuhr ich hin. Das war der Abend, an dem ich Dave das erste Mal sah. Er spielte auch bei den
Itchy Fingers
.
In der Zwischenzeit hatte ich mein Studium begonnen, an der Uni in Münster. Das lag eine gute Autostunde von Lippstadt entfernt. Entweder fünfundsechzig Kilometer über Landstraßen oder knapp das Doppelte über die Autobahn, zeitlich nahm sich das kaum etwas. Dass es dann doch Medizin geworden war – eine reine Kopfentscheidung. Irgendwie war ich wohl zu sehr Tochter, um die Bedenken meiner Eltern in den Wind zu schlagen. Also hatte die Vernunft gesiegt.
Doch das Grauen der Naturwissenschaften holte mich schneller ein, als ich befürchtet hatte: Physik, Chemie, Biochemie, Physiologie. Und gleich so, dass ich vor lauter Schock bei der nächsten Gelegenheit die Aufnahmeprüfung für Musik auf Lehramt machte. Wenn ich schon keine Jazzsaxophonistin werden konnte, wollte ich wenigstens Zeit für meine Musik haben. Mein Vater war Arzt mit Leib
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