Spuren des Todes (German Edition)
Christiane Wellbrinck in ihrem Bett auch nur gesessen, als Perlott mit der überdimensionalen Flasche auf sie einschlug, wäre mit Sicherheit Blut auf andere Bereiche des Betts gespritzt, gegen das Kopfende oder gar gegen die Wand dahinter. Oder auch getropft. Denn so viel stand fest: Der Schlag hatte – vermutlich auch durch das Gewicht der Flasche – eine relativ große Kopfplatzwunde verursacht, aus der es sofort stark geblutet haben musste.
Und es gab noch zwei Details, die Perlotts Ausführungen wenig glaubhaft erscheinen ließen: Einmal die Tatsache, dass Christiane Wellbrinck auf eine Sehhilfe angewiesen war, ohne wäre sie vermutlich nicht einmal ins Bad gelangt, ohne irgendwo gegenzulaufen. Hätte sie aber ihre Brille aufgehabt, als Perlott zuschlug, wäre diese beschädigt worden oder auf den Boden gefallen, wahrscheinlich beides. Stattdessen lag sie völlig unversehrt auf dem Nachtschrank. Und Kontaktlinsen hatte sie auch keine getragen.
Der zweite Punkt betraf ihre Kleidung. Perlott sagte aus, die Zweiunddreißigjährige habe sich wieder angezogen, nachdem sie den Sex mit ihm abgebrochen hatte. Demnach hätte sie sich während des anschließenden Streits wieder entkleiden und ihr Nachthemd überstreifen müssen, in dem sie dann gefunden wurde.
Nein, es sprach so ziemlich alles dafür, dass Christiane Wellbrinck nicht nur im Bett gelegen, sondern auch geschlafen haben musste, und somit völlig wehrlos war, als er auf sie einschlug.
Die Sache mit dem Nachthemd war allerdings tatsächlich etwas rätselhaft. Und genauso, dass sie sich nach dem heftigen Streit zum Schlafen ins Bett legte, ohne Perlott vorher aus der Wohnung zu werfen. Doch es muss so gewesen sein, anders war es nicht zu erklären. Er besaß keinen Schlüssel, der es ihm ermöglicht hätte, erst zu gehen und dann später noch einmal zurückzukehren und unbemerkt in die Wohnung zu gelangen, um die Tat auszuführen.
Dass Christiane Wellbrinck an einem emotional aufgeladenen Abend wie diesem anscheinend völlig arglos war, lässt sich wohl nur nachvollziehen, wenn man sich die Beziehung der beiden vor Augen führt, in der so etwas wie Harmonie ein äußerst seltener Zustand war. Dagegen gehörten Streitereien zum Alltag. Man könnte sagen, sie waren geübt darin, wobei ihre Auseinandersetzungen wenig konstruktiv gewesen sein können, sonst hätten sie sich nicht dauernd wiederholt. Diese Regelmäßigkeit hatte dazu geführt, dass irgendwann beinahe jeder Streit zwischen ihnen ablief wie nach einem festen Regieplan – immer nach demselben, unabhängig davon, welches Thema gerade zur Debatte stand: Einer fing an, dem anderen Vorwürfe zu machen. Der wehrte sich, indem er mit Anschuldigungen zurückfeuerte. Beide gerieten ordentlich in Fahrt, was sich in einer entsprechenden Lautstärke niederschlug, aber selten lange andauerte. Ähnlich einem Gewitter, das sich genau dann entlädt, wenn es über einen hinwegzieht, und danach ist es vorbei. So schnell sie aufbrausten, so schnell beruhigten sich ihre Gemüter wieder, als wäre es nicht mehr als eine lästige Gewohnheit. Jedenfalls hatten solche Streitereien niemals dazu geführt, dass einer den anderen vor die Tür setzte, oder dass einer von ihnen davonrannte, was noch naheliegender gewesen wäre. An diesem eingespielten Verhalten hatten sie anscheinend auch nach ihrer Trennung nichts geändert, wenn sie einander besuchten.
Für beide war es also ein ganz normaler Vorgang, dass sich Christiane Wellbrinck nach dem Streit ins Bett legte, um zu schlafen, und sich auch nicht weiter um ihn scherte.
Was Perlott in der Zeit anstellte, bis sie fest schlief, in welchem Zimmer er sich derweil aufhielt, ob er womöglich selbst für ein Weilchen einnickte – all das konnte das Gericht nicht klären. Im Urteil wurde von der Vermutung ausgegangen, dass er zu aufgebracht gewesen sei, um einschlafen zu können. Ihm sei nach dem missglückten Liebesakt und dem anschließenden Wortgefecht offenbar endgültig klargeworden, dass die Beziehung nicht mehr zu retten war. Dadurch sei er in einen akuten depressiven Verstimmungszustand verfallen, in dem er keine Zukunft mehr für sich gesehen habe. Als Folge dessen habe sich sein Denken ausschließlich darauf gerichtet, die seit Monaten anhaltenden Todesphantasien wahr werden zu lassen.
Es muss nach Mitternacht gewesen sein, als er die Weinflasche aus der Holzkiste nahm, ins Schlafzimmer ging, neben dem Bett stehenblieb – vielleicht noch einen Augenblick
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