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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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Jahreszeit nicht überraschend fand. Die Kleidung unter dem Neoprenanzug war unbeschädigt, außer an den Knien, dort waren die verschiedenen Stoffe durchgescheuert bis auf die Haut, und von der war auch nicht mehr viel da.
    Das meiste hatte jedoch der Kopf abbekommen. Die Gesichtshaut war an einigen Stellen aufgerissen, das Nasenbein gleich mehrfach gebrochen, seitlich vom Kinn, auf der linken Gesichtshälfte, klaffte eine tiefe Wunde. Der Oberkopf sah aus, als wäre er skalpiert worden. Die Kopfschwarte war komplett vom Schädelknochen abgelöst, die Haare fehlten. Der Hinterkopf schien deformiert, auch dort war ein Stück Kopfschwarte abgelöst.
    Wir stellten fest, dass die Verletzungen kaum unterblutet waren. Normalerweise spricht das dafür, dass sie postmortal entstanden sein mussten. Doch bei Wasserleichen ist das nicht immer so klar zu definieren. Im Wasser kommt es bei offenen Verletzungen auch vor Eintritt des Todes nicht unbedingt zu nennenswerten Unterblutungen. Umso weniger, je näher beides zeitlich beieinander lag.
    Bei der Sektion kamen dann auch noch eine Halswirbelfraktur und ein Rippenbruch zum Vorschein. Beide Verletzungen dürften durch stumpfe Gewalt herbeigeführt worden sein und waren am ehesten als Folge eines Aufpralls erklärbar. Schwieriger war es mit der Zuordnung, wann er sie erlitten hatte: Wurde er durch die Halswirbelfraktur außer Gefecht gesetzt, oder war er zu diesem Zeitpunkt bereits tot und wurde durch den enormen Sog und die Wasserverwirbelungen irgendwo gegengeschleudert? Vorstellbar war beides.
    Wenngleich man nur vermuten konnte, was in der Tiefe mit dem Taucher geschehen war – zur Todesursache ließ sich eine klare Aussage treffen. Bei der Sektion der Hals- und Brustorgane stießen wir auf eindeutige Zeichen des Ertrinkens: vom ausgeprägten Lungenödem und einer Überblähung der Lungen über Blutarmut und Schlaffheit der Milz, weißlichen feinblasigen Schaum in den Atemwegen bis hin zu sogenannten Paltauf’schen Flecken unter den Lungenüberzügen. Das sind spezielle fleckenförmige Blutungen, die typischerweise auftreten, wenn jemand ertrunken ist. In der Regel sind sie bis zu fingernagelgroß, rötlich und etwas verschwommen, ohne klare Ränder. Hervorgerufen werden sie durch Gewebszerreißungen mit der Folge von Blutungen aus Kapillaren, den kleinsten Blutgefäßen im menschlichen Organismus.
    Wobei ich dazusagen sollte, dass ertrinkungstypische Befunde von Fall zu Fall unterschiedlich ausgeprägt sind und eine geringgradige Ausprägung beziehungsweise ein Fehlen dieser Befunde nicht automatisch dagegensprechen, dass die Person ertrunken ist.
    Rein wissenschaftlich betrachtet macht es übrigens einen Unterschied, ob beim Ertrinken Salzwasser oder Süßwasser in die Lungen und damit in den Blutkreislauf gelangt. Ich glaube, das wissen viele nicht. Da Süßwasser so gut wie kein Natriumchlorid, also Kochsalz, enthält, der Salzgehalt im Blut dagegen bei etwa 0 , 6  Prozent liegt, kommt es zur Diffusion – vereinfacht gesagt: ein Teil des eingeatmeten Wassers tritt ins Blut über. Dadurch wird das Blut innerhalb weniger Minuten verdünnt, vor allem steigt das Flüssigkeitsvolumen in den Blutgefäßen rapide an, was wiederum eine enorme Mehrbelastung für die rechte Herzkammer mit sich bringt. Außerdem quellen durch das Ausgleichen des Salzgehalts die roten Blutkörperchen auf und platzen.
    Beim Ertrinken in Salzwasser geschieht praktisch das Gegenteil. Dadurch, dass der Salzgehalt des Wassers, das eingeatmet wird, mit drei bis vier Prozent deutlich über dem des Bluts liegt, geht der Austausch in die andere Richtung vonstatten. Blutflüssigkeit, aber auch Flüssigkeit aus dem umgebenden Gewebe, diffundiert in die Lungen und verursacht ein Lungenödem, die Lungen quellen stark auf. Also, grob gesagt – insgesamt ist es natürlich ein weitaus komplexeres Geschehen.
    In beiden Fällen laufen diese Prozesse innerhalb kürzester Zeit ab, wobei der Ertrinkungsvorgang im Salzwasser wesentlich länger dauert als im Süßwasser. Im Süßwasser sind es nur etwa vier Minuten, im Salzwasser sind es dagegen etwa acht, vom ersten, noch bewussten Atemanhalten bis zum Eintritt des Todes. Das klingt kurz, wenn man sich allerdings vorstellt, dass man eine gewisse Zeit davon noch im vollen Bewusstsein erlebt, relativiert sich der Begriff »kurz« doch etwas. Als Betroffener wird man es als eine Ewigkeit empfinden.
     
    Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass

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