Spuren des Todes (German Edition)
hinuntergeht. Die tiefste Stelle des Sees misst sechzig Meter. Normale Sporttaucher sollten spätestens bei dreißig Metern kehrtmachen. Besser vorher, um nicht Gefahr zu laufen, von einem Tiefenrausch, auch Stickstoffnarkose genannt, gepackt zu werden. Dabei wird das logische Denken ausgeschaltet, zumindest partiell, das Urteilsvermögen lässt einen im Stich, es kommt zu Angstattacken oder auch zu Euphorie, die in der Situation völlig unangebracht ist. Man stellt die dümmsten Sachen an, und das kann unter Wasser schnell böse enden. Von solchen Fällen sind schon einige bei mir auf dem Sektionstisch gelandet. Wenn man selber taucht, kommt man da natürlich ins Grübeln. Und ich muss auch jedes Mal daran denken, wie es mich einmal beinahe selbst erwischt hätte – allerdings nicht wegen eines Tiefenrausches.
Es war im Urlaub auf den Kapverdischen Inseln, mein erster Tauchurlaub. Mit einer kleinen Gruppe von Tauchern unternahm ich einen Tauchgang von der Küste aus. Wir liefen über den Strand. Uns fegte eine ordentliche Brise um die Ohren. Dass die Brandung nicht ohne war, konnte man sehen. In einem fort überschlugen sich am Ufer Wellen, kaum war eine da, rollte schon die nächste an. Trotzdem kamen wir ganz gut rein ins Wasser und tauchten ziemlich weit hinaus.
Wir waren nur zu viert, ein Ehepaar, beide sehr erfahrene Taucher, unser Divemaster und ich. Damals war ich noch sehr unerfahren, hatte weniger als dreißig Tauchgänge in meinem Logbuch stehen. Ich tauchte an der Seite des Divemasters, das Ehepaar bildete ein weiteres »Buddy-Team«. Das ist eine der wichtigsten Regeln beim Tauchen: Tauche niemals allein, sondern immer mit Buddy. Und der Buddy sollte stets in Reichweite sein, für den Fall, dass es Probleme gibt.
Die Sicht in der aufgewühlten See war nicht umwerfend, aber es lief alles wunderbar. Ein Problem bekam ich erst, als der Tauchgang zu Ende war und wir wieder an Land gehen wollten.
Ich hielt mich an den Divemaster, er kannte das Revier. Ich ging davon aus, dass er die Situation unter Kontrolle hatte. Das Wasser war schon recht flach, man konnte beinahe stehen, aber angesichts der Brandung versuchten wir so lange es ging unter Wasser zu bleiben. Der Divemaster war ein ganzes Stück größer als ich und konnte irgendwann stehen und aus dem Wasser schauen. Kurz nach ihm tauchte auch ich auf. Es waren noch gut zwanzig Meter bis zum Strand. Eigentlich ein Klacks, nur nicht wenn man sich mit dem kompletten Tauchgerät, inklusive Blei, Tarierjacket und Flasche, fortbewegen muss – und noch dazu Flossen an den Füßen hat. Bevor ich dazu kam, die Flossen abzustreifen, sah ich im Augenwinkel eine riesige Welle, die auf mich zurollte. Keine Chance, dachte ich nur, besser schnell abtauchen, bevor die Welle dich umhaut.
Aber sie packte mich und wirbelte mich herum, als wäre ich in die Trommel einer übergroßen Waschmaschine geraten, in der das Schleuderprogramm lief. Die Wassermassen rissen mir die Tauchermaske vom Kopf, reflexartig kniff ich die Augen zusammen, ich wollte meine Kontaktlinsen nicht verlieren. Ich dachte, solange ich den Atemregler im Mund behalte und meine Pressluftflasche auf dem Rücken habe, kann mir nichts passieren. Ich holte tief Luft und zog – trotz Atemreglers im Mund – eine stattliche Ladung Wasser, wovon ein Teil durch die Luftröhre direkt bis in die Lungen gespült wurde. Es brannte fürchterlich. Ich fühlte, wie Panik in mir aufstieg. Warum hatte ich statt Luft Wasser gezogen, wo ich doch den Regler fest zwischen meinen Zähnen hielt?
Kaum dass ich mich halbwegs wieder orientiert hatte, krachte eine neue Welle mit Karacho heran, so dass sich die Situation von eben wiederholte: Der nächste Schwung Salzwasser landete in meinen Lungen. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Die Kräfte verließen mich. Mir schoss nur noch ein Gedanke durch den Kopf: Das war’s, jetzt ist es vorbei! So also fühlt sich Ertrinken an!
Plötzlich spürte ich eine andere Kraft, die mich schnappte. Sie schien stärker als die Wellen zu sein. Das Herumwirbeln hörte mit einem Mal auf. Ich bewegte mich nur noch in eine Richtung, ohne dass ich hätte sagen können, welche es war. Und dann war plötzlich kein Wasser mehr um mich herum. Ich lag auf Sand. Jemand zog mir den Atemregler heraus, ich röchelte und hustete, und Flüssigkeit schwappte aus meinem Mund, sie schmeckte nach Salz.
Der zweite Divemaster, der an Land geblieben war, hatte bemerkt, dass ich in der Bredouille
Weitere Kostenlose Bücher