Spuren im Nichts
eine gewaltige Heckwelle hinter sich her.
Der Ausblick aus Kims Fenster wurde zu einem verschwommenen Durcheinander aus Wald, Meeresküste und Flüssen. Andere Passagiere zogen die Blenden herab und machten es sich in ihren Sitzen mit ihren Datenlinks oder einem Buch bequem. Manche schliefen, andere setzten einen Helm auf und sahen sich einen Film aus der Videothek des Zugs an.
Kim legte sich den Herbst auf den Schirm, der vor ihrem Sitz montiert war, und blickte lange Zeit ihr eigenes Abbild an. Es ließ sie frösteln, und doch erzeugte es ein merkwürdiges Gefühl für ihre eigene Schönheit und Macht. Markis Kanes Gefühle für sein Modell waren ganz offensichtlich.
Ein anderer Passagier, eine Frau, blieb im Gang hinter ihr stehen. Verlegen löschte Kim den Schirm.
Während der ersten Zeit nach Emilys Verschwinden hatte Kim gelegentlich bei ihrer Mutter gesessen, während sie Unterhaltungen mit einer Simulation der verlorenen Tochter geführt hatte. Ihr Vater war dagegen gewesen. Emily war auch seine Tochter, hatte er gesagt. Und es sei besser für alle, sie ruhen zu lassen. Er hatte Recht gehabt: Es war eine makabre Geschichte, und Kim hatte sich geschworen, niemals selbst so etwas zu tun. Wenn jemand gegangen ist, hatte sie entschieden, dann ist er gegangen. Technik zu benutzen und so zu tun, als sei es anders, war krank. Doch wie sich herausgestellt hatte, war es leichter gewesen, sich das Versprechen zu geben, als es dann auch zu halten. Während ihrer Kindheit hatte Kim regelmäßig mit Emily gesprochen, und in den Jahren nach dem Unfall mit ihren Eltern. Typisch für ihren Vater, dass er sie während dieser Sitzungen beschworen hatte, endlich loszulassen. Du musst dein eigenes Leben leben, Kimberley, hatte er mit besorgtem Gesicht gesagt. Du kommst alleine zurecht; du brauchst uns nicht mehr.
Nach den Begegnungen war sie jedes Mal voller Schmerz gewesen. Erwachsen zu werden hatte in ihrem Fall hauptsächlich bedeutet, die Phantome abzuschütteln. Doch um das zu tun, so hatte sie herausgefunden, musste sie sich der Realität stellen und sich eingestehen, dass alle wirklich gegangen waren. In gewisser Hinsicht, so wusste sie, hatten ihr diese Unterhaltungen mit den Toten Schäden zugefügt, insbesondere die mit Emily. Denn die Frau, die aus Kims Leben zu einer Zeit verschwunden war, an die sie sich kaum noch erinnern konnte, hatte noch ein weiteres Dutzend Jahre nachgeklungen. Erst, als Kim sich völlig gelöst hatte, war ihr die Tiefe des Verlusts bewusst geworden.
Sie fand ein Bild von Emily, Yoshi und Tripley, aufgenommen bei einem Abschiedsessen kurz vor der Abreise der Hunter. Emily war wundervoll angezogen mit einer dunkelgrünen weiten Hose, einer hellgrünen Bluse und einer gebrochen weißen Jacke. Die Kombination unterstrich ihre goldgesprenkelten dunklen Augen.
Emily hatte bereits einen Ruf als erfolgreiche Junior-Führungskraft bei einer Kommunikationsgesellschaft, bevor sie zur Tripley Foundation gekommen war. Kim nahm sich die Zeit, einer Ansprache an einen Country Club zuzuhören, während derer Emily den Zweck der Foundation beschrieb, was sie bisher erreicht hatte und was sie noch zu erreichen hoffte. »Irgendwo dort draußen gibt es Leben«, hatte sie gesagt. »Und mit Ihrer Hilfe werden wir es finden.«
Emily war leidenschaftlich, mit einem untrüglichen Gespür für richtiges Timing. Sie besaß alle Qualitäten eines guten Redners: Sie wusste, worauf sie hinauswollte, sie nahm sich selbst nicht so ernst, und sie wusste, wie man einen Einzeiler richtig anbrachte. Der Applaus am Schluss ihrer Rede war laut und anhaltend, und es war offensichtlich, dass Emily jeden Einzelnen ihrer Zuhörer hätte rekrutieren können, wenn sie gewollt hätte.
Sie war zweimal verheiratet gewesen, doch zum Zeitpunkt ihres Verschwindens hatte sie keinen festen Partner gehabt. Kinder hatte es auch keine gegeben.
Terminal City lag auf einer Äquatorinsel zwei Kilometer vor der Küste. Der Seahawk verließ das Festland bei Mikai, passierte eine Reihe felsiger Landspitzen und verringerte seine Geschwindigkeit, als er sich dem Chibatsu Tunnel näherte. Die Beleuchtung in den Wagen wurde heller, und sie bemerkten ein paar Möwen. Die Vögel hatten bald gelernt, sich von den Zügen fern zu halten, mit Ausnahme der Bereiche entlang der Strecke, wo sie auf niedrigere Geschwindigkeiten verzögerten. Von jetzt an würde der Zug über die Barrier Islands fahren und im Rhythmus mit den Tunnels abwechselnd bremsen
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