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Spurlos in der Nacht

Spurlos in der Nacht

Titel: Spurlos in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unni Lindell
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Grorud eine nackte Frau auf mich wartet», fügte er mit einem Lächeln hinzu.
    Cato Isaksen musste lachen. Die Kommentare seines Kollegen kamen ihm ab und zu einfach befreiend vor.

53
    Kathrine legte sich auf die Matratze. Sie betastete den erstarrten Flecken. Er war braun und hart geworden. Blut. Sie hatte ihre Tage. Also musste wieder ein Monat vergangen sein. Es war schon einige Male passiert, bis ihr aufging, dass sie auf diese Weise die Wochen zählen und die Zeit bemessen konnte. Wie oft hatte sie schon ihre Regel gehabt? Vier- oder vielleicht fünfmal? Sie warf einen Blick durch die halboffene Tür zur Toilette, musterte die rosa Packung mit den Binden, die auf dem schmutzigen Waschbecken stand.
    «Ist es mal wieder so weit, Kleine? Die ganze Vollmondnummer?» In Gedanken hörte sie das Echo der hellen Stimme. Alles war so widerlich. Aber immerhin bekam sie Binden.
    Sie legte den Finger unter ihr Auge, ließ die Fingerspitze einen leichten Halbkreis beschreiben. Hatte sie wohl graublaue Schatten auf den Wangen, wie das so oft passierte, wenn sie müde war?
    Sie produzierte soviel schmutzige Wäsche, wie sie nur konnte. Hoffte, dass jemandem beim Waschen etwas auffallen würde. Aber sie wurde durchschaut. Sie bekam in der Woche nur ein sauberes T-Shirt. An Unterhosen, Hosen und Pullovern in ihrer Größe hatte sie immer nur eine Garnitur zum Wechseln. Es waren hässliche Teile, die sie sich niemals selber gekauft hätte.
    Sie dachte an ihren Vater, konnte sein Gesicht aber nicht deutlich vor sich sehen. Ihr fiel ein, dass seine Stimme bei ihrem letzten Telefongespräch traurig geklungen hatte. Das war Monate her. Er klang auch immer ängstlich, wenn er mit ihr sprach. Sie wusste, dass er Angst davor hatte, sie anzurufen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, hatte immer ein schlechtes Gewissen. Er hatte sie gefragt, warum sie ihn bestrafte, und warum Mona nicht zu ihrer Konfirmation kommen dürfte. Kathrine hatte behauptet, Mona zu hassen. Das war ein schönes Gefühl für sie. Sie hatte auch behauptet, Thea und Sofie zu hassen. Aber das stimmte gar nicht. Die beiden kleinen Mädchen waren fast immer gleich gekleidet.
    Sie hatte gesagt, sie finde das albern. Einmal hatte sie das auch Mona an den Kopf geworfen. Mona hatte sich nicht gewehrt. Mona wehrte sich nie. Mona war immer der gleichen Ansicht wie ihr Mann und wehrte sich nie.
    Kathrine warf einen Blick auf die dicke Eisentür. Sie hätte gern gewusst, was ihr Vater jetzt so dachte. Hatte er nur Angst und war traurig, oder war er eher erleichtert, weil er sie los war?
    Jetzt weinte sie leise. «Armer Papa», flüsterte sie. Sie wollte nicht weinen. Sie weinte zuviel. Das machte sie so müde. Aber andererseits spielte das ja auch keine Rolle. Wenn sie müde war, schlief sie leichter ein.
    Jetzt hatte sie Zeit zum Nachdenken und sah sich auf einmal auf ganz andere Weise. Was war sie gehässig gewesen, so verwöhnt und egoistisch! Die Konfirmation war längst vorbei. Anfangs hatte sie versucht, die Tage zu zählen, war aber bald durcheinander geraten. Ihre Uhr und ihr Telefon hatte man ihr weggenommen. Sie hatte keine Ahnung, wann es hell war und wann dunkel. Sie fragte sich, woran Maiken am Konfirmationstag wohl gedacht hatte. Wie war dieser Tag für sie verlaufen? Und wie für ihre eigene Mutter? Das Kleid hatten sie kurz nach Weihnachten im Ausverkauf erstanden. Aber ihrer Mutter hatte es nicht gefallen. Es war grau und modern. Die Mutter hatte zu einem hellblauen geraten. Sie hätte auf sie hören sollen. Sie hätte sich für das hellblaue entscheiden sollen, dann hätte ihre Mutter doch wenigstens ein schönes Kleid als Erinnerung.
    Sie zog die Wolldecke über sich. Sie ließ sich still und ruhig treiben, wie eine gefühllose Amöbe in der Dunkelheit. Dann wurde die schwere Tür geöffnet und sie fuhr jählings aus dem Schlaf hoch. Ihre Hände fuchtelten durch die Luft, als wolle sie sich verteidigen.
    «Hast du völlig den Verstand verloren?»
    «Bitte, fass mich nicht an, fass mich nicht an.»
    Und dann waren die grauen Mauern wieder da. Auch der Modergeruch war wieder da, und als das Licht eingeschaltet wurde, kam das wie ein eiskalter Schock.
    «Ich will dich doch gar nicht anfassen», sagte die helle Stimme, und darauf folgte ein ekelhaftes Lachen. «Das tu ich doch nie. Ich finde das widerlich.»
    Keine Minute später kniete Kathrine in der feuchten Toilette und erbrach sich. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn. Ihr Magen stülpte sich immer wieder

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