Spurlos in der Nacht
er gern bisse und so. Er begriff ja, dass sie den Vampir meinte, den er im Stück spielen sollte, aber auch hier fiel ihm keine Antwort ein. Sie erzählte außerdem, dass sie mit Nils gesprochen und dass er eine Überraschung erwähnt habe. Er hatte offenbar auf irgendeine Weise echtes Blut aufgetrieben. André fand das eine ziemliche Schweinerei. Er verspürte kein Bedürfnis nach echtem Blut.
Vor dem Caféfenster hielt jetzt auf der anderen Straßenseite ein Bus. Er stieß eine dicke Abgaswolke aus, dann fuhr er wieder los. In der Gruppe von Menschen, die aus dem Bus ausgestiegen waren, entdeckte André plötzlich seinen Bruder Stein Ove. Seine Mutter hatte nichts davon gesagt, dass er auf Urlaub kommen würde.
Jetzt stand Solvi Steen fünf Meter von ihm entfernt da und musterte ihn. «Warm heute Abend», sagte sie. Er gab keine Antwort, sondern wandte sich kurz ab, es machte ihn ein wenig verlegen, dass sie ihn dermaßen anstarrte. Er glaubte, sie interessiere sich für ihn. Und das reizte ihn und machte ihm zugleich Angst. Er konnte mit Frauen nicht gerade gut umgehen. Hatte noch nie eine Freundin gehabt. Solvi war stark geschminkt. Um die Augen hatte sie einen dicken schwarzen Strich gezogen. Ihr Gesicht war fast weiß gepudert.
André ging weiter zu Nils Bergman, der an einem dicken Baumstamm lehnte. Er trug einen schwarzen Umhang, in dem er fast verschwand. André fragte, ob er Stein Ove in letzter Zeit gesehen habe. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass Nils nicht wusste, was er dazu sagen sollte.
«Ich bilde mir ein, ihn gestern gesehen zu haben, verstehst du», sagte André. «Ich saß in einem Café, und da stieg er aus dem Bus.»
«Um ganz ehrlich zu sein, ja, ich habe ihn gesehen», sagte Nils Bergman und ging zu dem Rucksackberg hinüber. «Er war kurz bei mir, um etwas zu besprechen.»
«Was denn? Und warum ist er nicht nach Hause gekommen?» André trottete hinter ihm her.
Nils Bergman seufzte. «Er wollte nur etwas bei mir abholen.»
«Was denn?»
«Ich weiß nicht, ob ich darüber reden sollte.»
André Hansen musterte ihn mit düsterer Miene. «Warum denn nicht», fragte er misstrauisch.
«Na gut. Ich hab den ganzen Scheiß satt.» Jetzt schien Nils Bergman plötzlich wütend zu sein. «Stein Ove hatte zwei Waffen. Nicht nur die, die Kenneth bei Kathrine versteckt hatte.»
André Hansen sah verwirrt aus.
«In Rygge wurden zwei Waffen gestohlen», erklärte Nils. «Und dein Bruder hatte sie beide. Die eine habe ich für ihn versteckt.»
«Und?»
«Er hat sie geholt, weil er sie der Polizei übergeben wollte», sagte Nils Bergman und rief einem Schauspieler zu, er solle schwarze Stiefel anziehen. «Stein Ove ist doch von der Polizei verhört worden und hat zugegeben, dass die Waffe in Kathrines Schrank ihm gehörte.»
André nickte ernsthaft.
«Jetzt will er alle Karten auf den Tisch legen. Noch mehr Scheiß verträgt er nicht, sagt er. Er ist vom Dienst beurlaubt worden. Gestern ist er nicht nach Hause gegangen, weil deine Mutter immer alles wissen will und herumschnüffelt.
Die Bullerei war einige Male bei mir, ich konnte die Waffe nicht länger aufbewahren.»
André Hansen nickte noch einmal. «Ich habe gesagt, dass wir Plastikschwerter verwenden», sagte er.
«Gut», sagte Nils Bergman und klopfte ihm auf die Schulter. «Dein Bruder wohnt für ein paar Tage bei mir.»
46
Die Stille im Wald wurde nur durch das leise Stimmengewirr der dunkel gekleideten Jugendlichen durchbrochen. Im späten Sommerlicht betrachteten die beiden Ermittler das Spiel, das jetzt auf der kleinen Lichtung vor sich ging.
Sie hockten hinter einigen Kiefernsträuchern, gleich neben einem kleinen Moor, das einen fauligen Geruch verströmte. Der Duft von grober Tanne und Harz schwebte zu ihnen herüber.
«Es wird jetzt schnell dunkel», flüsterte Roger Høibakk und zog ein Bein an. Irgendein kleines Tier raschelte in den trockenen Blättern auf dem Waldboden.
Plötzlich fing ein Spieler an, mit lauter, scharfer Stimme zu sprechen. Zwischen einigen großen Steinen brannte ein Feuer.
Die Schauspieler liefen hin und her. Alle wussten, was sie zu tun hatten. Ihre seltsam altmodisch klingenden Repliken wurden präzise vorgetragen.
«Was für ein Quatsch!», flüsterte Roger Høibakk.
Eine helle Mädchenstimme meldete sich zu Wort. Cato Isaksen erkannte Solvi Steen. Als ein Vampir aufheulte, prustete Roger Høibakk los. «Was für ein Blödsinn», meinte er noch einmal.
Im Schutze der
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