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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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völlig erschöpft.
    „Du hast meine Nummer. Ich bin in zwei Stunden wieder da.“ Er ging zurück zu den Aufzügen.
    „Was ist los mit dir, Tony?“, rief Shane ihm nach, aber Tony winkte bloß ab.
    Shane setzte in Costarellis Büro Kaffee auf und machte sich daran, alle Informationen, die den damaligen Fall betrafen, zu ordnen. Er studierte die Fotos vom Tatort, las die Berichte der Spurensicherung, überflog die Aussagen der Zeugen, die Patty noch lebend gesehen hatten. Shane goss sich den Kaffee in einen der schlecht gespülten Becher. Als er aufblickte, bemerkte er Lleyton in der offen stehenden Tür.
    „ Was gibt’s, ?“ Er winkte ihn herein.
    „Sie können morgen früh mit der ersten Maschi ne auf die Perlenfarm fliegen!“ Lleyton wollte sich schon wieder umdrehen.
    „Danke. Ach, sagen Sie, Lleyton: Macht Tony das öfter, dass er einfach mal verschwindet?“
    Lleyton zögerte. „Na ja“, er zuckte die Schultern, „hin und wieder schon. Aber irgendwie taucht er immer im richtigen Moment wieder auf.“
    „ Verstehe“, sagte Shane, „Sind Vicky und Rob schon zurück?“
    „ Ja.“
    „Dann schicken Sie sie rein.“
    Er wollte gerade einen Schluck Kaffee trinken, als Vicky hereinkam. Sie lächelte ihr scheues Lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. „Sie glauben, dass es mit dem Erdbeben zu tun hat.“
    „Die Aborigines, die Sie befragt haben?“ Es wäre nicht das erste Mal, dass Shane erlebte, wie Mythen dazu benutzt wurden, ein Verbrechen zu erklären.
    Sie strich sich mit einer raschen Bewegung eine Strähne aus ihrem Gesicht. „Sie sagen, Bula, der Schöpfergott habe sich erhoben, weil er gestört worden ist. Wir wollten wissen, wer ihn gestört hat. Da hieß es, vieles sei im Ungleichgewicht …“ Sie machte eine Pause. „Also, in ihren Bräuchen gibt es diese Art der Opferung nicht. Wir müssen uns klar machen: seit Jahrtausenden mussten sie immer ums Überleben kämpfen. Sie lebten in kleinen Gruppen, zogen in kleinen Gruppen umher, mussten mit der Natur nachhaltig umgehen, um sich nicht die Lebensgrundlage zu entziehen – sie konnten es sich nicht leisten, Menschen- oder Tieropfer zu bringen. Es wäre eine zu große Verschwendung gewesen.“ Sie sprach schnell und aufgeregt. Sie ist mit Leib und Seele bei ihrem Job, dachte Shane. „Das heißt“, fuhr Vicky fort, „Menschenopfer sind etwas, das in anderen Kulturen und Religionen vorkommt, in der christlichen zum Beispiel, oder in anderen Naturreligionen. Oder denken Sie an die Bestattung von Lebenden, die den Toten im Jenseits dienen sollen. Aber ... aber nicht bei den Aborigines ...“
    Shane nickte. „Vicky, machen Sie sich über Opferungen schlau.“
    Als sie gegangen war, nahm er das Blatt mit der Kopie des Ornaments. Auf einmal war er ganz sicher: McNulty war der Falsche gewesen. Der wahre Täter lief noch immer frei herum. Und – dass keine weiteren Leichen gefunden wurden, bedeutete nicht, dass der Täter keine Morde begangen hatte. Dieses Land war so groß ...
    Shane ließ das Papier sinken und starrte an die Wände, an denen Costarellis Urkunden, Auszeichnungen und Jubiläumsglückwünsche hingen. Er, Shane, hatte auch solche Dinge bekommen, sie aber nie aufgehängt. Dass Costarelli sie hier zur Schau stellte, wunderte ihn, schien er doch eher ein Mensch zu sein, der vor allem seinen eigenen Regeln folgte und keinen Wert auf äußere Anerkennung legte. Aber welcher Mensch war schon ohne Widersprüche? Sicher würden die wenigsten glauben, dass Shane, Gewissensbisse plagten, weil er Carol noch immer nicht angerufen hatte. Sie hatten sich so sehr auf dieses Wochenende gefreut.

5
    Die Cola schmeckte schal. Tamara Thompson sah durch die staubige Fensterscheibe des Cafés. Im grellen Mittagslicht parkte ihr weißer Toyota neben einem roten, zerbeulten Pick up. Hin und wieder zogen Trucks und Autos vorbei, die Nebenstraße zwischen Brisbane und Warwick war längst nicht so befahren wie der Highway. Am Nebentisch aß ein Arbeiter im schmutzigen Overall einen Hamburger. Von der Bar kam hin und wieder das klatschende Geräusch eines nassen Spüllappens.
    Vor anderthalb Stunden hatte sie Brisbane verlassen und gönnte sich jetzt eine Pause, kurz vor Warwick – unweit des damaligen Tatorts. Shane hatte sie gefragt, ob sie sich nicht einmal den alten Tatort ansehen und die Psychiatrische Anstalt, in der McNulty eingewiesen worden war, besuchen würde.
    Al hatte ihr zwei Tage für den alten Fall gegeben. Er verstand Shane, den

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