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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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einstellten, ohne zugleich von der weißen Gesellschaft akzeptiert zu werden.
    1978 wurde Bathurst Island den Tiwis zurückgegeben. Seitdem werden Bathurst und Melville Island vom Tiwi Land Council verwaltet.
    Richard McNulty war dort zur Schule der Herz Jesu Missionare gegangen.
    Tamara lehnte sich zurück und überlegte. McNulty war mit der Bibel vertraut, doch das erklärte nicht sein besonderes Interesse für die alttestamentarischen Opferanleitungen.
    Sie vertiefte sich weiter in McNultys Lebenslauf.
    Sein Vater starb, als er acht war. Richard wuchs bei seiner Mutter und seiner Großmutter auf. Er ging bis zum zwölften Lebensjahr zur Schule. Dann waren einige Jahre nicht dokumentiert.
    Seit seinem achtzehnten Lebensjahr arbeitete er auf Fischtrawlern. Viermal wurde er verhaftet wegen öffentlicher Ruhestörung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung – Vergehen, die er jeweils unter erheblichem Alkoholeinfluss beging. Insgesamt betrug die Zeit, die er im Gefängnis verbrachte , jedoch nicht mehr als ein Jahr. McNultys Biographie enthielt – gemessen an anderen Aborigine-Lebensläufen – nichts sonderlich Dramatisches.

    An jenem Abend, als er Patty Benson ermordet haben sollte, gab er an, sei er von Brisbane aus aufgebrochen, um einen Freund zu besuchen. In seiner ersten Version sagte er, unterwegs, bei Warwick, müde geworden und in einen Seitenweg der Hauptstraße gefahren zu sein. Daher habe man die Reifenspuren seines Wagens dort gefunden – dort, wo kaum dreißig Meter weiter die Leiche lag.
    In einer zweiten Version seines Geständnisses gab er zu, in Brisbane angetrunken gewesen zu sein. Er habe sich mit Leuten vom Schiff gestritten – was bestätigt wurde – und sei wütend ins Auto gestiegen, das er sich mit zwei Cousins, die ebenfalls auf Fischtrawlern arbeiteten, teilte. Auf dem Weg durch die Stadt habe er an einer Straßenecke eine Frau stehen sehen, die „fertig“ ausgesehen habe und wohl irgendwohin mitgenommen werden wollte.
    „Sie hat an mein Fenster geklopft, als ich da an der Ecke halten musste. Da hab’ ich gesagt, ich hab’ ne weite Fahrt vor mir. Das ist mir gerade recht, hat sie gesagt und dann hab ich gedacht, he, mal sehen, was ihr noch recht ist, und hab sie einsteigen lassen.“
    Der Gedanke, sie umzubringen, sei erst viel später gekommen. Nach zwei Stunden Fahrt. Da sei er an den Straßenrand gefahren, in einen Seitenweg, weil er ziemlich scharf auf sie geworden sei.
    „He, dann hat sie mich ausgelacht und gemeine Sachen gesagt. Von wegen dass ich nur ein dreckiger Abo bin und so was. Da hab’ ich plötzlich mein Messer in der Hand gehabt. Ich wollt ihr nur ein bisschen Angst machen. Ich hab’ sie gezwungen raus zu gehen. Sie wollte abhauen, auf die Straße laufen, da bin ich ihr hinterher und hab’ sie zu den Felsen geschleppt und wollte ihr zeigen, was ein dreckiger Abo alles kann. Sie hat mich angespuckt. Da hab’ ich ihr den Hals aufgeschlitzt. Und dann ist es über mich gekommen, ich hab’ ihr die Kleider ausgezogen und sie aufgeschlitzt. Ich weiß nicht, es war auf einmal, als wär’ sie ein großer, weißer Fisch … Ich weiß auch nicht. Ich hab’ an gar nichts mehr gedacht.“
    Nach der Bedeutung des Zeichens auf den Felsen befragt, hatte er behauptet, es müsse schon vorher da gewesen sein.
    Es klopfte an der Tür, und Tamara schrak hoch.
    Tom McGregor lächelte. Sein tadellos gekämmtes Haar und sein weißes, sorgfältig gebügeltes Hemd ließen nicht vermuten, dass er eine Nachtschicht hinter sich hatte.
    „Al sagt, du rollst diesen alten Fall wieder auf. Kommst du voran?“
    Tamara seufzte. „Ich weiß nicht. Setz’ dich.“
    Tom McGregor kam näher. „Was von Shane gehört?“
    „Nein. Er fischt genauso im Trüben.“
    Er lehnte sich zurück und strich sich nachdenklich über seinen sauber gestutzten Schnurrbart. „Es wäre besser gewesen, wenn er sich nicht mehr mit dieser alten Sache beschäftigt hätte.“
    „Ja. Aber ich verstehe ihn.“
    „Ja. Ich auch.“
    „Tut mir leid, Tom, ich kann dir keinen Kaffee anbieten, er schmeckt furchtbar.“
    „Besser so. Ich trinke seit zwei Tagen keinen Kaffee. Mal sehen, wie lange ich’s durchhalte.“
    Es war still bis auf das leise, kaum hörbare Brummen des Computers.
    „Und, Tamara, wie fühlst du dich so, als Senior Detective?“
    „Ehrlich?“
    „Ja, klar.“
    „Älter.“
    Sein Lachen wirkte ansteckend .
    „Ach, Tom, es ist verrückt, wir haben uns doch so oft

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