Spurschaden
seinem Lehrer – hinten draufgefahren war. Eigentlich wusste er ganz genau, dass man das dabei meist auftretende Schleudertrauma auskurieren musste. Aber damals hatte er einfach zu viel um die Ohren gehabt, mit dem nun sichtbaren Ergebnis: Ein Zittern in den Händen und Unterarmen – selbst bei geringer körperlicher Anstrengung. Die Muskelstränge im Nacken- und Schulterbereich hatten Schäden davongetragen. Das war vor allem deshalb ein Ärgernis, weil jeder Außenstehende diese Bewegungen mit dem geistigen Verfall der Person in Verbindung brachte: die Parkinson’sche Krankheit oder ähnliches. Er konnte zwar dem Zittern bewusst entgegenwirken, allerdings nur, wenn es ihm gerade auffiel – und das war eher selten der Fall. Abgesehen von diesem äußerlichen Schönheitsfehler fühlte er sich für sein Alter noch recht fit. Zumindest so fit, dass ihn seit den Ereignissen der letzten Tage nichts mehr zu Hause halten konnte; erst recht nicht seine Frau. Er liebte seine Frau, und seine Frau liebte ihn. Allerdings genügten beiden die gemeinsamen Abend- und Nachtstunden. Jedes darüber hinaus stattfindende engere Zusammensein führte unweigerlich zu Spannungen.
Das Glas war gefüllt. Schmidts Blick streifte die Unterlagen. »Wir kriegen euch!«, sprach er leise drohend vor sich hin. Es folgten mehrere kräftige Schluckgeräusche – das Glas war leer.
Es würde nicht einfach werden, den Ermittlungsverlauf zukünftig zu verfolgen. Kontakte hatte er viele, doch in diesem Fall war nun eine spezielle Sondereinheit tätig. Dass es sie gab, wusste er, aber wer oder was genau dahinter stand, wer der eigentliche Befehlshaber war, das hatte ihm niemand sagen können. Dieser arrogante Haufen machte eher den Eindruck eines militärischen Stoßtrupps als einer reinen Aufklärungseinheit. Etwas Geheimnisvolles musste auf der Bergspitze geschehen sein – und etwas Grauenhaftes.
Der alte Kommissar runzelte die Stirn. Die Aufnahmen des Tatorts wurden vor seinem Auge fast lebendig. Bei der Suche nach den Kindern soll also ausgerechnet ihr Team von der Spurensuche rein zufällig auf den Übergabeplatz eines mächtigen Drogenkartells gestoßen sein?
»Ein weit abgelegenes, gutes Versteck«, dachte er sich. »Warum eigentlich nicht?« Ein bestochener Pilot von der Bergwacht und die etwas größer verlaufende Flugroute des Hubschraubers wären nicht außergewöhnlich aufgefallen; auch wenn diese Region – von den Bewohnern des Klosters einmal abgesehen – nahezu menschenleer war.
Und doch. Da war etwas, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Warum sollte jemand fast die gesamte Bergspitze abfackeln, um dann noch Drogen als Beweismittel zurückzulassen? Zeitdruck? Unwahrscheinlich.
Schmidt hielt unbewusst den Atem an. So als könnten die Flammen jederzeit wieder neu entfacht werden; als könnte der Geruch verbrannten menschlichen Fleischs aus den vor ihm liegenden Beweisfotos bis zu ihm vordringen.
»Verdammt!«, fluchte er. »Hatten die denn stetig irgendwelche Flammenwerfer dabei? Bei diesen Temperaturen ist es doch eigentlich unmöglich, solch eine vernichtende Feuerfront zu legen.« Schmidt seufzte, und er schwieg. In jedem einzelnen Haufen verkohlter Überreste sah er den ehemaligen Kollegen, den guten Kumpel. Keiner hatte eine Waffe gezogen gehabt; diese steckten bei jedem noch im Halfter. Das war auch eine dieser Unstimmigkeiten, die ihn verunsicherte. Wenigstens einer der fünf hätte doch die Zeit haben müssen, seine Waffe zu ziehen, sei es auch nur aus einem reinen Reflex heraus. »So schnell können die doch nicht alle überrascht worden sein!«
Der Kommissar im Ruhestand sackte auf dem bequemen Stuhl mit der angenehm weichen Polsterung leicht in sich zusammen. Kurz darauf schnarchte er – unruhig und laut.
13
Der Tag stand bisher unter keinem guten Zeichen. Bereits in der Nacht hatte sie sich unruhig hin- und hergewälzt. Hinzu kamen wieder diese Schmerzen am linken Ohr. Gab es da irgendwelche Knochen, die man sich brechen konnte? Was genau war die Ursache für dieses außenliegende Stechen? Fragen, die Marie sich stellte, während sie mit den Fingern ihr Ohr abtastete, es an allen nur möglichen Stellen unsanft drückte und verbog. Doch ein bestimmter Bereich, der den Schmerz verursachte, ließ sich einfach nicht finden. Sie wusste nur eines: Immer dann, wenn sie im Bett auf ihrer linken Körperseite geschlafen hatte, war dieser Schmerz morgens da und zog sich bis in die späten Abendstunden hin. Vielleicht war
Weitere Kostenlose Bücher