Spurschaden
nicht weiter beunruhigen – sie schien unverletzt. Einzig der Halsbereich fühlte sich eigenartig an. Hier spürte er eine Wärme, der nicht viel fehlte, um als heiß wahrgenommen zu werden.
Mit letzter Kraft drehte er seine Augen nach oben und sah an der Stelle, wo sich Svens Kopf befinden sollte, etwas, das nach einer aufgeplatzten Wassermelone aussah. Der fleischige Inhalt hatte den Schnee tiefrot gefärbt.
»Schon komisch«, dachte Thomas. Dann verlor er erneut sein Bewusstsein. Das ferne Bellen der Hunde erreichte ihn nicht mehr.
12
»Was für ein armes Schwein!«
»Der Andere sieht auch übel aus. Verdammt, fehlt dem etwa ein Bein?«, fragte ihr Mann mit rauer Stimme.
»Nein. Das ist vom Schnee verdeckt. Bei dem scheint noch alles dran zu sein. Die Hunde! Halt doch die Hunde zurück!«
»Das war ein größeres Kaliber aus der Ferne. Von denen hier hat keiner eine Waffe gezogen; da liegt keine. Die haben das nicht kommen sehen!«
»Der Kopf sieht wie eine zerfetzte Wassermelone aus.«
»Jepp.«
»Wir sollten vorsichtig sein! Vielleicht treibt der Schütze sich hier noch herum.«
»Glaub ich nicht. Der oder die sind vermutlich schon längst über alle Berge. Sicher haben die Hubschrauber nach denen gesucht.«
»Riechst du das auch?«
»Ja, das kommt aber nicht von uns. Der Wind weht das hierher.«
»Meeloone.«
»Ja, Melone.«
»Was?«
»Melone. Sagtest du schon!«
»Ich sagte Wasser…«
»Meee…«
»Ach du Scheiße! Das hat DER gesagt!« Die kräftige Frau wankte. »Der lebt noch!«
»Vorsicht! Der Hals!«
»Wie kann man mit so einem Hals noch sprechen?«
»Verdammt Elke, reiß dich zusammen! Der hört uns doch!«
»Sie werden wieder ganz gesund!«, flüsterte eine weibliche Stimme zärtlich, nahe in Thomas’ Ohr. Und auch wenn Thomas das alles wie in Trance wahrnahm, konnte er eines doch mit Sicherheit sagen: die Frau log – er hatte ein Gespür dafür, wenn jemand bewusst die Unwahrheit sagte.
Thomas erwachte. Kein Schmerz – Angst trieb ihm die Tränen in die Augen. Hilflos schaute er sich um. Sein Hals schien fixiert zu sein. Nein, nicht nur der Hals. Sein gesamter Körper war an einem Bett festgeschnallt. Die Finger konnte er bewegen; das war aber auch schon alles.
»Gott, die Füße!«, dachte er entsetzt und beruhigte sich wenig später – die Bettdecke bewegte sich im unteren Bereich. Er war also nicht gelähmt. Die Beine ließen sich minimal drehen. Das war keine Einbildung.
Verschwommen sah er einige blinkende Gerätschaften und einen bunten Blumenstrauß.
»Krankenhaus«, schoss es ihm durch das Hirn, und das mit leichten Schmerzen verbundene Einatmen sorgte für Gewissheit. Er hasste diesen typischen Geruch, diese trockene, abgestandene Luft. Dann streifte sein Blick wieder kurz den Strauß frischer Blumen. »Von Judith sind die sicher nicht. Die hätte mir ein Trockengesteck hingestellt«, dachte er. Zwei Wochen Urlaub am Strand hatte sie sich gönnen wollen – nach der Abtreibung, nach dem Streit.
Ob sein Vater auch hier lag, einige Zimmer weiter? Was war mit Sven? Was war eigentlich passiert? Das waren die Fragen, die er sich stellte. Und er dachte auch an seine Mutter, die vermutlich weiterhin – unerreichbar in dem kleinen Mini-U-Boot – irgendwo im Atlantik auf Tauchgang war; alles für die Forschung.
Langsam fielen Thomas’ Augenlider zu. Da war wieder dieser Wunsch nach Schlaf. Nur eines, das wollte er unbedingt noch austesten: Was war mit seiner Stimme? Wie laut könnte er sich äußern? »Konzentration!«, befahl er sich innerlich, und mit festem Willen und letzter Kraft entwich seinem Mund ein schwaches »Dickeee Titten«. Danach folgte ein nach außen hin nicht sichtbares Lächeln, dann der Schlaf.
Der Polizeioberkommissar im Ruhestand legte die Unterlagen zur Seite und stand auf. Hastig schritt er zu dem nur wenige Meter entfernten Krankenbett, schaute angespannt in das bekannte Gesicht: Nichts. Die Augen waren geschlossen, die Lippen bewegungslos. Er hätte schwören können, dass er ein »Bitte trinken!« gehört hatte. Einen Moment lang stand er nur so da, ballte unbewusst seine mit zahlreichen Altersflecken übersäte rechte Hand zur Faust. Dann drehte er sich zur Seite und ging zu dem gewohnten Platz. Ein Glas Wasser war genau das, wonach ihm jetzt war.
Dass Wilfried Schmidts Hand einschließlich des Unterarms beim Einschenken deutlich zitterte, hing mit dem lange zurückliegenden Unfall zusammen, bei dem ihm ein Fahrschüler – mitsamt
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