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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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vielmehr richtig gut zu ihr passte, hatte mir die nachlässige Sumire besser gefallen, aber so etwas ist natürlich reine Geschmackssache.
    »Nicht übel«, sagte ich, nachdem ich sie von oben bis unten in Augenschein genommen hatte. »Aber was würde Kerouac dazu sagen?«
    Sogar Sumires Lächeln war eine Idee kultivierter als sonst. »Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?«
     
    Seite an Seite schlenderten wir die Universitätsstraße in Richtung Bahnhof entlang und machten unterwegs in unserem Stammcafé Halt, um einen Kaffee zu trinken. Wie üblich bestellte sich Sumire ein Maronentörtchen dazu.
    Es war ein milder Abend im April. Die Schaufenster der Blumengeschäfte waren voller Krokusse und Tulpen. Die sanfte Brise ließ die Rocksäume der jungen Mädchen flattern und trug den zarten Duft frischen Grüns mit sich.
    Ich faltete die Hände hinter dem Kopf und sah zu, wie Sumire hingebungsvoll ihr Maronentörtchen verschlang. Aus den kleinen Lautsprechern an der Decke des Cafés ertönte ein alter Bossa Nova von Astrud Gilberto, »Take me to Aruanda«. Ich schloss die Augen, bis das Klappern der Tassen und Teller wie fernes Meeresrauschen klang. Aruanda – wie es dort wohl war?
    »Bist du noch müde?«
    »Nein, gar nicht«, sagte ich und öffnete die Augen.
    »Geht’s dir gut?«
    »Ja, ich bin munter wie die Moldau im Frühling.«
    Nachdem Sumire einen Moment auf ihren leeren Teller gestarrt hatte, hob sie den Kopf und sah mich an.
    »Du wunderst dich bestimmt über meine Klamotten?«
    »Ein bisschen.«
    »Die hab ich mir natürlich nicht gekauft, so viel Geld habe ich ja gar nicht. Ich bin durch bestimmte Umstände daran gekommen.«
    »Darf ich mir diese Umstände ein bisschen ausmalen?«
    »Ich höre.«
    »Du standest in deiner Kerouac-Aufmachung mit einer Kippe im Mund in einer Toilette und wuschst dir gerade die Hände, als eine einsfünfundfünzig große Frau völlig außer Atem hereinstürzte und rief: ›Bitte, bitte, tauschen Sie die Kleider mit mir! Ich kann Ihnen nicht erklären, warum, aber ich werde von Schurken verfolgt. Wenn wir die Kleider tauschen, kann ich entwischen. Zum Glück haben wir die gleiche Größe.‹ Genau wie in einem Hongkong-Film.«
    Sumire lachte. »Und zufällig hatte die Frau auch Schuhgröße 35 und Kleidergröße 36.«
    »Und ihr habt an Ort und Stelle alles bis zur Mickey-Maus-Unterhose getauscht.«
    »Keine Unterhose, Mickey-Maus-Socken waren das.«
    »Egal«, sagte ich.
    »Hm«, sagte Sumire. »Zumindest bist du nahe dran.«
    »Wie nah?«
    Sie beugte sich über den Tisch. »Das ist eine lange Geschichte. Möchtest du sie hören?«
    »Das fragst du? Immerhin bist du doch eigens hergekommen, um sie mir zu erzählen, oder? Also schieß los, egal wie lang sie ist. Von mir aus kannst du auch mit einer Ouvertüre und einem ›Elfentanz‹ anfangen.«
    Und sie begann zu erzählen. Von der Hochzeit ihrer Cousine, von ihrem Lunch mit Miu in einem Restaurant in Aoyama. Es war wirklich eine sehr lange Geschichte.

3
    Am Montag nach der Hochzeit hatte es gegen Mitternacht zu regnen begonnen und bis zum Morgengrauen nicht aufgehört. Unablässig fiel ein sachter, weicher Frühlingsregen, der die Erde schwarz tränkte und die namenlosen Wesen darin sanft zu neuem Leben erweckte.
    Der Gedanke an ein Wiedersehen mit Miu versetzte Sumire derart in Aufregung, dass sie nichts zustande brachte und sich fühlte wie mutterseelenallein auf einem zugigen Hügel. Wie immer setzte sie sich an den Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an und schaltete ihr Schreibgerät ein, aber sie konnte auf den Bildschirm starren, solange sie wollte, es fiel ihr kein einziger Satz ein. Für Sumire war das äußerst ungewöhnlich. Endlich gab sie es auf, schaltete das Gerät aus, rollte sich auf dem Boden ihres winzigen Zimmers zusammen und überließ sich, eine unangezündete Zigarette zwischen den Lippen, dem Strom ihrer Gedanken.
    Wenn schon die Aussicht auf eine Begegnung mit Miu sie derart in inneren Aufruhr versetzte, würde sie es bestimmt kaum ertragen, sie nicht mehr wiederzusehen. Konnte es sein, dass sie diese schöne, kultivierte Frau bewunderte, weil sie in ihr ein Vorbild sah? Nein, ihr Anblick weckte in Sumire die Sehnsucht, Mius Körper zu berühren. Das war wohl schon ein bisschen mehr als Bewunderung.
    Seufzend schaute Sumire einen Moment lang zur Decke und zündete sich die Zigarette an. Ganz schön seltsam, wenn man mal darüber nachdachte. Sich mit zweiundzwanzig das erste Mal richtig

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